Härtling, Peter
der Helden, die in dem großen Siege bei Mons starben, würde ich jeder Träne zürnen, die ich über ihn weinen wollte.«
Sie hatten, von Anfang an, die Entwicklung idealisiert, selbst der Königsmord hatte sie nicht irritieren können, denn schließlich war mit der Verurteilung Ludwigs XVI. der Republik der Weg freigegeben – erst als die Revolution sich selber zerstörte, die Tage der Schreckensherrschaft anbrachen, zogen sie ihren hohen Anspruch an die Republik zurück. Aber sie wußten: Sie hatten gesehen, erlebt, was keiner Generation vor ihnen vergönnt war, und es würde nicht verloren sein. Jeder ging seinen Weg: Stäudlin in den Tod; Conz wurde Professor; die beiden Mömpelgarder, Bernard und Fallot, bestanden immerhin ihr Examen mit Erfolg, wurden als Theologen bestätigt; Hegel wurde der wichtigste Denker seiner Zeit, Staatsphilosoph Preußens; Schelling, der Reichbegabte, verschloß sich nach einem sprühenden Beginn, ein verbitterter Reaktionär; Seckendorf blieb, wie auch Sinclair, der noch auf kurze Zeit zur Tübinger Runde stoßen sollte, den Ideen der Jugend treu bis hin zum Vorwurf des Landesverrats.
Und Hölderlin? Seine Erinnerung bewahrte am genauesten die Sätze der Hoffnung, des Aufruhrs. Sie kehren in seinen Gedichten immer wieder. Nur vermied er es, sich unmittelbar auf politische Umtriebe einzulassen. Er setztesich zwar nicht von seinen Freunden ab, nahm weiter an ihren Treffen teil, später in Homburg, Rastatt, Stuttgart, hat sicher aufmerksam zugehört, doch gefragt hat ihn, dessen verletzliche Sympathie sie ernst nahmen, keiner mehr: Was moinsch, Hölder?
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VI
Die fünfte Geschichte
Im frühen Sommer 1792, einige Wochen nach Ausbruch des Krieges zwischen Frankreich und Österreich, brach Fallot atemlos in die Ruhe der Augustinerstube ein und rief: In Hirschau und in Rottenburg liegen Franzosen, doch er erklärte gleich weiter: Es sei ein Corps von Réfugiés, von Emigranten, das unter dem Befehl von Mirabeau stehe und sich den Österreichern angeschlossen habe. In diesem südwestlichen Zipfel des Habsburgischen Reiches wurden, um einen möglichen Angriff der Franzosen abzuwehren, Truppen zusammengezogen.
Die Stipendiaten schrien durcheinander: Verräter! Aristokratenbrut! Feiglinge! Blutsauger der Nation! Geschmeiß!
Hegel faßte sich, es gelang ihm nur mühsam, die Freunde zu beruhigen.
Bernard schlug vor, auf der Straße nach Hirschau bis zu den Posten zu wandern und, falls sie einem der Réfugiés begegneten, mit ihm zu debattieren.
Die lassen doch nicht mit sich reden.
Versuchen sollte man es. Sie hätten sicher Heimweh, und die einfachen Chargen könnte man vielleicht überzeugen, die Truppe heimlich zu verlassen und in die Heimat zu fliehen.
Weißt du, was denen dort blüht?
Wenn sie guten Willens sind?
Ich bin im Zweifel, ob der gute Wille so gerecht verteilt ist, Fallot.
Dennoch, schon aus Neugier, zogen sie nachmittags auf Hirschau zu. Sogar zwei Repetenten hatten sich ihnen angeschlossen. Hölderlin mußten sie überreden. Er fand das Unternehmen geschmacklos und auch gefährlich.
Guck dir’s an, Hölder.
Sie fielen in dem Rummel rund um die Postenstellen vor Hirschau gar nicht auf. Die Uniformen der Franzosen stachen von denen der Österreicher ab, und die Schaulust der Einheimischen konzentrierte sich auf sie. Die Franzosen fanden auch das Interesse der Fliegenden Händler und Gelegenheitskrämer. Wein wurde in Krügen angeboten, frische Milch, gebratenes Fleisch. Mädchen kokettierten, radebrechten Französisch. Seckendorf entdeckte einige Juristen, die sich jedoch weigerten, sich ihnen anzuschließen. Sie wollten mit den Klosterbrüdern nichts zu tun haben.
Hölderlin sagte: Es ist wie auf einem Jahrmarkt. Man merkt gar nicht, welcher Ernst hinter dem liegt.
Kann einer dem Gesicht des Verräters ablesen, daß er ein Verräter ist? fragte Seckendorf.
Hegel erwiderte ihm, trocken wie eh und je: Du irrst dich, Seckendorf, sie sind, wenigstens die meisten, keine Verräter. Sie verteidigen die Sache des Adels und der reichen Bürger. Es sind eingeschworene Royalisten oder Klerikale.
Sie versuchten, Franzosen ins Gespräch zu ziehen. Es gelang ihnen selten, und wenn, dann machten sich die Offiziere und Soldaten über ihren Eifer lustig oder meinten, sie sollten froh sein, daß sie die Revolution nicht im Lande hätten. So ließe es sich leicht reden.
Den Grafen Mirabeau möchte ich sehen, rief ein Mädchen.
Guck, auch hier sind die Grafen
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