Härtling, Peter
war,und, beleidigt, für diesen Streich keine Verantwortung auf sich nehmen wollte, was auch keiner von ihm verlangte, Wetzel genügten die Streitreden im Klub nicht mehr. Im Frühjahr 1793 mehrten sich die Gerüchte, der Herzog wolle die neuen Statuten verkünden. Im Januar war Ludwig XVI., der Bürger Louis Capet, öffentlich hingerichtet worden. Das Ereignis bedrückte die Freunde im Klub. Zwar jubelten manche über das blutige Ende, das der Monarchie gesetzt wurde, über den Tod des Tyrannen, doch die meisten fürchteten, daß der Mord nur ein Anfang sei.
Den verwirrten Hölderlin, der sich aus der Debatte heraushielt, trieb Hegel in die Enge:
Hast du nicht den Tod des Despoten gewünscht, Fritz, hast du nicht Gedichte geschrieben, in denen du ihn forderst? Und sobald es geschieht, wirst du schwach und wehleidig. Gilt er dir nur als Idee, nicht als Tatsache?
Du hast Recht. Ich weiß es nicht. Beim Anblick der Wirklichkeit beginne ich mich zu fürchten.
Und deine Unfreiheit?
Könnte es nicht ohne Gewalttätigkeit geschehen?
Und die Gewalt, die der König ausübte?
Sie war entsetzlich, Hegel, sie nützte wenigen und unterjochte viele.
Wie wäre sie anders aufzuheben?
Ich weiß es nicht.
Hegel merkte, daß sein Freund aus lauter Zweifeln den Tränen nahe war, und antwortete für ihn: Der König hätte, am Leben, immer wieder versucht, die alte Macht zu gewinnen.
Und die Macht der Jakobiner? fragte Hölderlin leise: Ist sie die des Volkes? Wem nützt sie, Lieber? Werden sie nun nicht Brissot und seine Freunde umbringen?
Wir brauchen Zeit, Hölder. Und das Volk muß lernen.
Angesichts der Gewalt, des strömenden Bluts?
Gegen die Einsicht und den Willen des Klubs begann Wetzel unter den Studenten zu schüren. Wetzels Plan war, sämtliche Stipendiaten zur Rebellion gegen den Herzog und die neuen Statuten zu bewegen. Alle auf einmal könne der Herrscher nicht vom Stift werfen, also werde er es, da er einzelne nicht herausgreifen könne, gar nicht tun.
Diese Dialektik leuchtete den Stiftfern ein, sie rotteten sich an einem Abend im Stiftshof zusammen. Hölderlin, der an dieser »nutzlosen Büberei« nicht hatte teilnehmen wollen, war von Wetzel als Feigling beschimpft und von Seckendorf und Hegel bewogen worden, wenigstens mit hinunter zu kommen. Dann erregte ihn die Gemeinsamkeit doch, dieses schweigende Einverständnis, die Nähe aller, die Empfindung einer unerklärlichen Macht. Wetzel hatte es verboten, Lichter und Fackeln mitzubringen, damit keiner erkannt werde. Die Professoren und der Ephorus sollten nichts sehen als eine große, zusammenhaltende dunkle Menge.
Schelling, der Kindskopf, begann zu kichern. Ihm kam die Versammlung von »Dunkelmännern«, die sich nicht zu reden und nicht zu handeln trauten, lächerlich vor.
Sei schtill, Kloiner, wurde er angeherrscht. Alle, selbst die Feigen und Zurückhaltenden, die Unpolitischen und Strebsamen nahmen plötzlich Wetzels Aufruhr ernst. Wetzel stand auf einem Gerüst, so daß er den Hof übersah, die Menge unter sich hatte. Lange schwieg er. Unvermittelt schrie er, mit sich überschlagender Stimme: Liberté! Wider die Statuten des Despoten!
Nach einer Weile merkten sie, daß Ephorus Schnurrerunter ihnen stand. Er war ohne Licht heruntergekommen und hatte sich zwischen sie gestohlen. Seine Stimme war über den ganzen Hof zu hören: I glaub, da sind a paar b’soffe, sonscht tätet ’r merke, daß der Ephorus da isch. Oder, wie wär’s, wenn ihr wieder auf eure Zimmer ginget. Solche Frühlingsnächt bringen die jungen Leute bloß auf dumme Gedanken. Sie gingen auseinander, ohne zu murren.
Wetzel verschwand aus dem Stift. Er setzte sich nach Straßburg ab. Für den Herzog ein Beweis für die revolutionären Umtriebe im Stift.
Die Revolution ließ Hölderlin nicht aus. So sehr er sich auch wehrte gegen Übertreibung, unsinnige Konfrontation. Am dritten Jahrestag des Bundesfestes der Franzosen, am 14. Juli 1793, zogen sie früh, es war ein lichter, aufwiegelnder Morgen, auf eine Wiese in der Nähe von Lustnau, richteten den Freiheitsbaum auf, die Jakobinermütze auf dessen Spitze. Sie sangen laut das »Ça ira«, zu siebt oder acht, die Gefährten aus dem Klub, denen zu trauen war und die nicht nur nachplapperten, was aus Paris und Mainz an modischem Geschwätz eingeführt wurde. Und zum Schluß sangen sie die Marseillaise, erst auf Französisch, danach in der Übersetzung Schellings.
[ Menü ]
VII
Privates vorm Aufbruch
Ich setze neu an. Es ist
Weitere Kostenlose Bücher