Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
wirklich nicht erinnern, dass du jemals so krank gewesen bist.«
Sie lächelte und ging dann hinaus und schloss die Tür hinter sich. Julia versuchte, einen kleinen Bissen vom Käsebrot zu essen. Es ging, und sie aß eifrig den Rest. Zwang sich dazu, zurückzukommen.
Annika fuhr mit dem Rad. Erst auf den kleinen Straßen, wo nur wenige Autos fuhren, dann durch den Park, wo die schmalen Fußwege von gefallenen Blättern bedeckt waren. Sie wandte ihr Gesicht den rotgelben Baumkronen zu und spürte die wohlbekannte Steifheit im Nacken. Ein harter Knoten verspannter Muskeln, die schmerzten, wenn sie den Kopf beugte. Auch die Schultern taten weh vom vielen Heben. Sowohl Bengt als auch Sigfrid hatten auf dem Boden gelegen, als sie am Morgen zu ihnen ins Zimmer gekommen war. Bengt war vermutlich nachts gefallen, als er versucht hatte, auf die Toilette zu gehen, er war verwirrt und murmelte etwas von den kleinen Männchen, die unter dem Bett wohnten und jede Nacht herauskamen.
»Aber die sind lieb, weißt du, haben mich gestreichelt, nett gestreichelt und mich getröstet.«
Er war eiskalt und steif nach den vielen Stunden auf dem Boden, Annika musste Hilfe holen. Gun-Britt kam, und mit vereinten Kräften gelang es ihnen schließlich, ihn in die Dusche zu bekommen. Er war vollgepinkelt, sein Gesicht war verschmiert vom Blut aus einer Wunde auf der Stirn, die er sich beim Fallen zugezogen hatte. Schließlich hatten sie ihn wieder im Bett, aber da war fast eine Stunde vergangen, was Stress für den Rest des Tages bedeutete. Abgehetzt war sie eine Dreiviertelstunde später zu Sigfrid gekommen und hatte auch ihn auf dem Badezimmerboden gefunden. Er hatte versucht, allein zur Toilette zu gehen, als Annika zur üblichen Zeit nicht gekommen war, und war dann gefallen, als er sich auf die Toilette setzen wollte. Er hatte Tränen der Demut geweint über die Begrenztheit und Gebrechlichkeit des Körpers. Annika hat ihm geholfen und die ganze Zeit beruhigend auf ihn eingeredet, ihm vom Frühstück erzählt, das er gleich bekommen würde. Sie wusste, dass Sigfrid es mehr als andere hasste, abhängig zu sein. Er fauchte immer wütend, wenn sie ihm die Hose herunterzog, um die Windeln zu wechseln. Es war eine Erniedrigung, was Annika verstand.
Der Wind auf dem Gesicht holte sie aus ihren Gedanken, Radfahren war Freiheit, das Erlebnis, die Muskelkraft richtig einzusetzen, stark zu sein.
Sie konnte die Gestalt, die hinter der Kastanie hervortrat, erst sehen, als sie schon ganz nah war und so scharf bremsen musste, dass das Rad wegrutschte und sie stürzte. Der laute Schrei erstaunte sie, der klang nicht wie sie, so voller Angst.
Sie versuchte, schnell wieder auf die Beine zu kommen, der Mann kam auf sie zu.
»Entschuldige, Annika, ich wollte dich nicht erschrecken!«
Sie starrte Jan Lundgård an, der ihr verlegen eine Hand zum Aufstehen reichte.
»Janne?«
»Wie geht es? Hast du dir wehgetan?«
Er klang aufrichtig besorgt. Annika nahm seine Hand, stand auf und horchte in sich hinein.
»Ich glaube nicht, ich bin vor allem erschrocken.«
Sie sah sein beschämtes Gesicht und wurde plötzlich wütend.
»Warum versteckst du dich hinter einem Baum? Was soll das denn? Du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Entschuldige, das war nicht so gemeint! Ich wollte dich wiedersehen und wusste nicht, wie ich dich erreichen kann, bis mir einfiel, dass du hier jeden Tag nach der Arbeit vorbeikommst.«
»Mein Gott, warum hast du denn nicht angerufen?«
»Ich weiß selbst nicht so genau, was ich mir dabei gedacht habe. Ich bin ein wenig verwirrt. Ylva will die Scheidung, und ich weiß nicht, wie es weitergeht.«
Es blinkte in seinen Augen, und eine kurze Sekunde lang verspürte Annika so etwas wie Sympathie für den bedauernswerten, offensichtlich mitgenommenen Mann. Ein Mann, der wusste, was er wert war, und dessen Ausstrahlung von Macht auf Männer und Frauen anziehend wirkte.
»Schon gut. Komm, wir setzen uns.«
Sie schob das Rad zu einer Bank, Jan trottete folgsam hinterher.
»Warum will sie sich scheiden lassen?«
Jan schaute zum Himmel hinauf.
»Weil sie herausgefunden hat, dass ich andere Frauen hatte. Sie sagt, sie hätte es schon lange geahnt, aber erst als sie einen Zettel mit der Telefonnummer von Ann-Charlotte, einer Kollegin im Krankenhaus, die … egal, sie hat es herausgefunden.«
Annika schaute ihm in die Augen und überlegte, ob er tatsächlich verwirrt oder nur bescheuert war.
»Eine Scheidung ist vielleicht nicht das
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