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Häschen in der Grube: Roman (German Edition)

Häschen in der Grube: Roman (German Edition)

Titel: Häschen in der Grube: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Sveland
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ein minimaler Prozentsatz derer, von denen wir erfahren. Und dann gibt es noch die Dunkelziffer. Die Kinder tragen dann ein Leben lang ein großes dunkles Geheimnis mit sich herum.«
    Sie seufzte tief und schaute Annika mit traurigen Augen an.
    »Ich habe das Gefühl, je mehr ich weiß, desto verrückter werde ich. Wenn nicht bald etwas geschieht, werde ich zur Terroristin!«
    Sie lachte trocken, Annika schaute sie an.
    »Sie machen hier eine tolle Arbeit! Sie helfen so vielen, versuchen Sie es so zu sehen. Wenn es Sie nicht gäbe, hätte Julia alles vielleicht noch viele Jahre mit sich herumtragen müssen.«

Gisela hatte in der Küche gestanden und das Geschirr vom Frühstückstisch ordentlich in die Spülmaschine geräumt, als das Telefon klingelte. Die Frau am anderen Ende hatte sich als Doktor Elisabeth Klinga vorgestellt und ihr mitgeteilt, dass Julia im Krankenhaus war. Später hatte Gisela den höheren Mächten gedankt, dass Carl im Büro war. Er musste etwas für die Vorstandssitzung vorbereiten, er arbeitete öfter ein paar Stunden am Wochenende. Sie wusste, wenn Carl neben ihr gesessen hätte, dann hätte sie die Informationen über das Geschehene nicht entgegennehmen können. Inzwischen kannte sie Carls Grenzenlosigkeit nur zu gut und wusste, was für eine lähmende Wirkung die auf sie hatte.
    Erik spielte mit Jesper im Nachbarhaus, und ausnahmsweise war Gisela in der Lage, vernünftig und durchdacht zu handeln. Sie rief Jespers Mutter Pernilla an und fragte, ob Erik wohl den Tag über bei ihnen bleiben könnte. Dann rief sie ein Taxi und fuhr ins Krankenhaus, ohne Carl etwas zu sagen. Als ob sie auf einer unbewussten Ebene etwas geahnt hätte.
    Als Elisabeth die Tür zu ihrem Zimmer schloss und ruhig berichtete, was die Untersuchung ergeben hatte, brach Gisela weder zusammen noch bekam sie einen hysterischen Anfall. Sie musste zwar nach Luft schnappen und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Aber eine eigenartige Ruhe kam über sie und ließ sie die Fragen stellen, die nötig waren, damit sie verstand, was eigentlich nicht zu verstehen war.
    Als der Boden unter ihr schwankte, ratterten die Erinnerungen wie Münzen aus einem Spielautomaten. Szenen, die sie nicht verstanden hatte, alltägliche Ereignisse, die sie unerklärt gelassen hatte.
    Plötzlich verstand sie Carls nächtliche Wanderungen, dass der Platz im Bett neben ihr manchmal leer war. Sein verlegenes Gesicht, das schnell in Unzufriedenheit und Wut umschlug. Geräusche, die manchmal in ihren Schlaf drangen und sie weckten. Julias Schweigen, die dunklen Ringe unter ihren Augen. Ihr Fieber.
    Tief in ihr wuchs ein kompaktes Dunkel, eine harte Masse, deren Temperatur wechselte. Mal glühend heiß und beweglich, mal kalt und steif.

Das Taxi fuhr die Hauptstraße entlang, wo sich Menschen mit Einkaufstaschen drängten. Weihnachten stand vor der Tür. Gisela schaute aus dem Autofenster und gab dem Taxifahrer Anweisungen, wie er fahren sollte, damit er sie möglichst schnell nach Hause brachte. Julia war bei Annika und Emma. Sie hatten beschlossen, dass sie und die Kinder ein paar Tage dort wohnen würden, bis … ja, bis was? Bis sich alles beruhigt hätte? Soweit sie es beurteilen konnte, würde sich in absehbarer Zukunft nichts beruhigen. Darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken, sie fürchtete, wieder den schlüpfrigen steilen Abgrund hinabgezogen zu werden, wo die Angst wohnte.
    Der Gedanke an Weihnachten machte ihre Wut nur noch größer. Verdammter, widerwärtiger, ekelhafter Carl! So ein kranker Saukerl!
    Ein Mann im Weihnachtsmannkostüm stand vor dem großen Warenhaus. Als sie vorbeifuhren, wurde Gisela allmählich bewusst, dass Carl sich das ganze letzte Jahr geweigert hatte, sie anzufassen. Seine nur mühsam im Zaum gehaltene Verachtung und Unzufriedenheit waren umso größer geworden, je weniger körperlichen Kontakt sie hatten. Als ihr dies bewusst wurde, überkam sie ein Gefühl des Hasses. Es brannte und schmerzte, wenn sie daran dachte, wie sie selbstverständlich angenommen hatte, dass es ihre Schuld war, wenn er sie ablehnte. Wie sie versucht hatte, ihn zufriedenzustellen, indem sie dauernd ihr Aussehen verändert hatte. Wie sie sich zu einen lächerlichen Ungeheuer gemacht hatte, nur um sein Interesse zu wecken. Sie erinnerte sich an ihre Verzweiflung, wenn sie sich frisch geduscht und wohlriechend neben ihn legte und ihm einen Gutenachtkuss gegeben hatte. Die Erniedrigung, wenn er sich angeekelt abgewandt und sie mit ihrer

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