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Häschen in der Grube: Roman (German Edition)

Häschen in der Grube: Roman (German Edition)

Titel: Häschen in der Grube: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Sveland
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unmerklich.
    Annika schaute Julia und dann Elisabeth fragend an, die erklärte:
    »Es gibt alte Narben, die nicht von gestern stammen können.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Ich will damit sagen, dass es so aussieht, als habe sich schon früher jemand an Julia vergangen.«
    Annika schaute Julia an.
    »Julia?«
    Julia nickte, etwas deutlicher, aber immer noch ohne aufzuschauen.
    Annikas Stimme war undeutlich.
    »Aber ich verstehe nicht, wer?«
    Zum ersten Mal schaute Julia sie an, mit einem Blick, der erschreckte und sich durch seine Intensität für immer einbrannte. Die Stimme war so klar und deutlich wie der Blick, als sie trocken konstatierte:
    »Mein Vater.«
    Annika schnappte nach Luft. Die Übelkeit kam plötzlich, sie schluckte, um sie zu verdrängen. Hier und jetzt verschwand alles, was sie zu wissen geglaubt hatte, der Schwindel nahm zu.
    »Mein Gott!«
    Elisabeth half ihr auf einen Stuhl und reichte ihr einen Becher mit Wasser, den Annika dankbar annahm.
    Julia schaute wieder aus dem Fenster.
    »Ich sorge dafür, dass eine Sozialarbeiterin kommt und mit Ihnen redet, aber zuerst rufe ich Julias Mutter an, damit sie weiß, was passiert ist.«
    Giselas Mantel schleifte über den Boden, sie hatte ihn achtlos über den Arm gelegt. Das starke Make-up war wie immer eine schützende Maske, aber ihr gehetzter Gesichtsausdruck ließ es verschmiert aussehen. Sie eilte so schnell durch den Krankenhausflur, dass sie Emma gar nicht bemerkte, als sie auf dem Weg zu Julias Zimmer an ihr vorbeikam.
    Annika saß in der Ecke des Zimmers auf einem Stuhl, Julia lag zusammengekauert und mit geschlossenen Augen auf der Untersuchungspritsche. Vielleicht schlief sie, denn seit Elisabeth gegangen war, hatte sie so unbeweglich dagelegen.
    Gisela warf Annika einen Blick zu, dann stürzte sie sich auf Julia.
    »Julia! Meine liebe Kleine! Wie geht es dir?«
    Julia machte langsam die Augen auf, sah Gisela und begann zu weinen.
    »Entschuldige, Mama!«
    Die Tränen liefen Gisela über die Wangen, das Gesicht schwoll an, der Blick war offen, sogar die Zornesfalte auf der Stirn hatte sich geglättet. Verschwunden war die Bitterkeit, die sonst ihre Züge bestimmt hatte.
    »Du brauchst doch nicht um Verzeihung zu bitten, ich muss das tun! Julia, bitte verzeih!«
    Gisela kroch auf die Pritsche, legte sich neben Julia und hielt sie in den Armen.
    »Wirst du mir je verzeihen können, geliebte Julia!«
    Annika stand leise auf und verließ das Zimmer. Weiter hinten im Flur gab es eine Kaffeemaschine, die einen Plastikbecher mit dünnem Pulverkaffee füllte. Annika machte sich einen Becher, für Emma nahm sie einen Kakao.
    Sie tranken schweigend, während sie am Fenster standen und auf einen asphaltierten Innenhof schauten. Eine Hand auf der Schulter ließ Annika zusammenzucken, der Kaffee schwappte über und verbrannte ihr die Hand.
    Elisabeth reichte ihr eine Serviette.
    »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    »Nicht schlimm. Ich kann gerade keinen vernünftigen Gedanken fassen, ich habe irgendwie keinerlei Gefühle.«
    »Sie sind schockiert, und Ihr Körper versucht, sich zu schützen, indem er die Gefühle ausschaltet, er würde sonst überhitzen und zusammenbrechen.«
    Elisabeth holte sich auch einen Kaffee aus dem Automaten und verzog das Gesicht wegen des bitteren Geschmacks.
    »Man gewöhnt sich einfach nicht an diesen Kaffee. Ich hoffe jedes Mal, dass er anders schmeckt, aber dann ist es doch wieder das gleiche Gebräu.«
    Annika lächelte und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
    »Die Hoffnung stirbt zuletzt.«
    Elisabeth lachte.
    »Ja, das stimmt.«
    Sie schauten sich plötzlich ernst an.
    »Wie geht es jetzt weiter?«
    »Julia muss noch einmal Anzeige bei der Polizei erstatten, und dann wäre es gut, wenn sie nicht zu Hause wohnen müsste, bis sich alles geklärt hat.«
    »Gottlob versucht Gisela nicht, etwas zu verdecken.«
    »Nein, sie scheint es verstanden zu haben, und das ist wirklich keine Selbstverständlichkeit. Ich habe schon alles gesehen. Kinder, die vom Täter-Vater abgeholt wurden, während die Mutter unten im Auto wartete. Wir können da nichts machen, solange unser Rechtssystem sich nicht ändert.«
    Elisabeth wurde wütend.
    »Manchmal hat man das Gefühl, der ganze Rechtsapparat tut nichts anderes, als die Übergriffe zu verwalten. Sie zu dokumentieren und zusammen mit anderen nicht zur Anklage gebrachten Fällen auf einen Stapel zu legen. So unglaublich wenige Fälle kommen vor Gericht,

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