Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
Scham liegen gelassen hatte.
Als das Taxi in die Auffahrt einbog, floss ihr Hass frei und ungebremst, es war ein viel besseres Gefühl als die Unruhe und die Angst, die sie die vielen Jahre mit sich herumgetragen hatte.
Das Haus war dunkel und leer, Carl war offenbar noch nicht zurück.
In Julias Zimmer suchte sie Unterwäsche, Pullover und Hosen zusammen. Das Gleiche machte sie in Eriks Zimmer, bis sie schließlich alles beisammenhatte.
Als die Koffer unten in der Diele standen, machte sie noch eine letzte Runde durchs Haus und schaute in alle Zimmer. Sie wusste, dass sie möglichst nichts vergessen durfte, denn vermutlich war sie zum letzten Mal hier. Sie machte sich keine Illusionen über ein einvernehmliches Ende, eine anständige Scheidung mit einer gerechten Aufteilung des Besitzes. Carl würde alles in seiner Macht Stehende tun, damit sie das Haus und die Möbel nie wiedersah.
Und doch fand sie, dass der Preis nicht zu hoch war. Sie betrachtete ein letztes Mal die Gardinen im Wohnzimmer und die dazu passenden grünen Porzellanvasen auf den Fensterbänken. Es hatte sie große Mühe gekostet, die Gardinen aufzuhängen, sie hatte stundenlang gekämpft, bis die Falten und die Volants richtig fielen, und als alles perfekt war, hatte sie eine große Befriedigung empfunden. Das Haus war ihr ganzer Stolz, der Beweis, dass sie es trotz allem zu etwas gebracht hatte. Und doch betrachtete sie ihr Lebenswerk nun ohne Trauer oder Verlustgefühle.
Im Gegenteil, sie war von einem Gefühl der Befreiung erfüllt, sie ahnte neue Möglichkeiten. Schlimmer konnte es nicht werden.
In der Küche zog sie ihren Ehering aus und legte ihn mitten auf den Tisch. Dann fiel ihr ein, dass sie das Wohl ihrer Kinder und ihr eigenes Wohl ein bisschen mehr im Blick behalten sollte. Sie ging ins Schlafzimmer, öffnete ihre Schmuckschatulle und leerte sie in die Handtasche. Sie hatte einige wertvolle Halsketten und Ohrringe. Schmuckstücke, die sie kaum getragen hatte, die Carl ihr zum Geburtstag und zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie lächelte über die Ironie, dass sie den Schmuck jetzt wirklich brauchen könnte. Wie oft hatte sie sich im Stillen über seine Fantasielosigkeit geärgert, sie wusste, er schenkte ihr nur deshalb teuren Schmuck, weil andere Männer das genauso machten, es war eine Art Statussymbol. Ein leeres Geschenk, völlig unpersönlich.
»Ich habe noch nicht mal Löcher in den Ohren, du Idiot!«, brummte sie und ließ zwei Diamantohrringe in die Tasche fallen.
Im Badezimmer starrte sie den leeren Kosmetikschrank an, den sie mit einem solchen Perfektionismus eingerichtet und gepflegt hatte. Die Regale waren leer, bis auf Carls Zahnbürste, die stand allein im Porzellanbecher. Sie nahm sie in die Hand und ging dann langsam zur Toilette. Sorgfältig schrubbte sie Ablagerungen von Urin und Exkrementen damit ab, dann stellte sie die Zahnbürste zurück in den Porzellanbecher, machte das Licht aus und schloss die Tür.
Das Schnappen der Haustür durchbrach die Stille, kurz darauf hörte sie das unverkennbare Geräusch von Carls italienischen Lederslippern auf dem Parkett. Sie holte tief Luft und ging langsam die Treppe hinunter. Selbstbewusst erwiderte sie Carls ärgerliche und gestresste Miene mit dem gleichen verächtlichen Gesichtsausdruck und nicht mit einem unterwürfigen Lächeln.
»Warum ist es denn so dunkel? Es sieht ja so aus, als wäre niemand zu Hause!«
Gisela ging auf ihn zu, stellte sich ihm direkt gegenüber und schaute ihm in die Augen.
»Julia ist über Nacht im Krankenhaus gewesen. Sie wurde gestern Abend in einem Park neben der Schule vergewaltigt.«
»Bist du nicht ganz bei Trost! Was sagst du da?!«
Eine Sekunde lang spürte sie, wie Angst und Hass in ihrer Brust wetteiferten, aber der Hass siegte, und sie wich seinem Blick nicht aus.
»Die Ärztin, die sie untersucht hat, hat ältere Vernarbungen gefunden. Narben, die bei anderen, früheren Übergriffen entstanden sein müssen.«
Carl machte den Mund auf und zu und sah unschlüssig aus.
»Wie meinst du das?«
»Sie haben Narben gefunden, du Schwein!«
Gisela fauchte, aber ihre Stimme wurde doch hoch und schrill.
»Sie hat Narben, kapierst du das, du kranker, widerlicher Kerl!«
Sie schrie ihm direkt ins Gesicht, und als er die Hand hob und sie fest auf die Wange schlug, empfand sie das tatsächlich als angenehm. Es war der reine Hass, und sie liebte Reinlichkeit. Vielleicht hatte sie deshalb so unendlich viele Stunden ihres Lebens damit
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