Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
ihn gestellt und tja, dann wollten sie einfach nicht mehr hier einkaufen. Das ganze Weihnachtsgeschäft futsch.«
Annikas Blick bekam etwas Hartes.
»Aber das ist doch wahnsinnig!«
Es klang dumm, jämmerlich und nicht sehr tröstlich, aber etwas anderes fiel ihr nicht ein, immer nur dieses Das ist doch wahnsinnig!
»Aber es ist leider wahr. Unser Geschäftsprinzip beruht auf Stammkunden, Frauen, die seit Jahren bei uns einkaufen. Und diese Kundschaft reagiert extrem empfindlich auf Skandale.«
»Aber … was wollt ihr jetzt tun?«
Mona seufzte und lächelte, wie zu einem Kind, das es nicht besser wusste.
»Da kann man nicht viel machen. Vielleicht kommen sie ja wieder, wenn sich alles beruhigt hat. Weißt du, wie es Gisela geht? Wie kommt sie denn zurecht … dort?«
»Ich weiß es nicht, ich habe nicht mit ihr gesprochen, seit sie festgenommen wurde. Ich glaube, nach dem Prozess werden die Restriktionen gelockert, aber jetzt darf fast niemand mit ihr sprechen.«
»Aha.«
Mona trank ihren Kaffee aus und stand auf.
»Weißt du was, es ist jetzt zehn vor sechs, ich glaube ich mache zu für heute. Jetzt kommt niemand mehr.«
Sie standen auf und zogen die Mäntel an.
»Vielen Dank für den Kaffee! Ich hoffe wirklich, dass es euch bald wieder besser geht!«
»Danke, das ist nett von dir. Wir werden sehen! Warte, ich habe etwas für dich!«
Sie bückte sich und holte etwas aus einer Schachtel und reichte es Annika.
»Was ist das? Oh, ein Lippenstift! Vielen Dank!«
Mona lächelte verlegen und richtete sich die Haare.
»Der ist aus der Winterkollektion von Chanel. Perlmuttrosa. Gisela hätte gewollt, dass du ihn bekommst.«
Monas Augen glänzten, Annika umarmte sie fest, was sie zu überrumpeln schien.
»Danke!«
Ihre Stimme war undeutlich vor Rührung, aber als sie wieder auf der Straße standen, musste sie lachen.
»Das Ganze ist so absurd! Was für eine unglaublich nette Frau, aber Rosa, Emma, Rosa!« Sie blieb stehen und wandte sich an Emma. »Willst du ihn haben?«
Emma schüttelte den Kopf, immer noch verärgert über den Besuch in der »Perle«.
»Nein, danke. Vielleicht möchte Elin ihn haben«
Es schneite, der Schnee legte sich wie eine dicke Decke über die Welt, und Annika wusste auf einmal, dass sie verstand, warum Gisela die Sauna angezündet hatte.
Gisela wusste, wie grenzenlos diese Männer sind. Sie wusste, die einzige Möglichkeit, ihrem Wahnsinn zu begegnen, war, genauso wahnsinnig zu sein.
Das war eine Erkenntnis, die sie weniger hilflos als wütend machte. Sie richtete sich auf und schaute den Menschen, die ihr entgegenkamen, trotzig in die Augen.
Sie gingen durch den Park, da war kein Mensch, bis auf einen Mann, der ein bisschen weiter weg stand und sie anschaute. Emma blickte ängstlich zu Annika, die ihn auch gesehen hatte.
»Sollen sie uns doch überwachen, soviel sie wollen. Die erschrecken mich nicht mehr, ich kann mindestens genauso wahnsinnig sein wie die, und dann werden sie verdammt noch mal keinen Spaß mehr haben!«
Sie lachte und winkte dem Mann zu. Er winkte nicht zurück, sondern drehte sich um und ging in eine andere Richtung.
Darüber lächelte sie auf dem ganzen Weg nach Hause, bis zur Haustür, die Treppe hinauf. Und als sie den Schlüssel ins Schloss steckte und die Wohnung betrat, lächelte sie immer noch.
Vor dem Fenster war es schon lange dunkel, und als Julia vom Buch hochsah, bemerkte sie, dass außer ihr niemand mehr in der Bibliothek war. Beim Ausleihtresen sortierte die Bibliothekarin Zettel und Bücher und machte alles zum Schließen bereit. Julias Magen knurrte laut und vernehmlich, beklagte sich, wie wenig er bekommen hatte. Das Brot, das sie am Morgen im Laden gemopst hatte, hatte zusammen mit dem Tubenkäse gut geschmeckt. Aber kurz nach Mittag hatte sie alles aufgegessen, und jetzt war es bald sechs. Die Bibliothekarin war eine Frau mittleren Alters mit dunklen, kurzen Haaren und einer weiten schwarzen Strickjacke. Die Sandalen machten ein weiches Geräusch, Gummi auf Gummi. Julia hörte sie lange, bevor sie sah, dass sie kam.
»Hallo! Ich wollte nur sagen, wir schließen in fünf Minuten.«
»Okay, ich gehe.«
Die Frau zögerte einen Moment, blieb stehen und schaute Julia forschend an.
»Keine Eile. Ich muss noch ein paar Sachen aufräumen, bis ich die Lichter ausmache und abschließe.«
Julia schaute ihr in die Augen, wandte dann schnell den Blick ab.
»Okay. Danke.«
Sie murmelte ihre Antwort und schaute weiter auf den Tisch,
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