Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
bis die Gummisohlen in einiger Entfernung waren.
Schnell packte sie ihre Sachen zusammen, zog die Jacke an und verließ ihr vorübergehendes Zuhause. Ist eins der besseren, dachte sie, als sie durch die Glastür auf die Straße trat. Erheblich besser, als den ganzen Tag in Geschäften herumzulaufen.
Die Kälte zwickte ihr in die Wangen, die Stirn hinauf, und dann wurde sie wieder von Missmut und Angst ergriffen. Der Tag war in einem dankbaren Nebel vergangen, sie war so erleichtert gewesen, dass sie die Bibliothek gefunden hatte, und hatte nicht darüber nachgedacht, wohin sie nun gehen sollte.
Sie trappelte mit den Füßen, um die Wärme zu halten, und schaute unentschlossen in die Dunkelheit. Die Geschäfte waren geschlossen, auf den Straßen waren fast keine Menschen mehr. Eine leere Stadt an einem schrecklich kalten Winterabend. Plötzlich tat sie sich unendlich leid, und obwohl ihr auch gleich die Tränen über die Wangen liefen, musste sie im Stillen doch über die Situation lachen. Das waren die Geschichten ihrer Kindheit, Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Die Kinder vom Frostmoberg, Kulla-Gulla. Sie war diese Mädchen, hier und jetzt in der kalten Dunkelheit.
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, und sie zuckte zusammen. Als sie sich umdrehte, schaute sie in die besorgte Miene der Bibliothekarin.
»Was ist mit dir?«
Julia wischte sich die Tränen und den Rotz mit dem Handschuh ab.
»Alles okay. Hier draußen ist es nur so kalt.«
Sie schaute Julia mit unruhigen Augen an.
»Mir kommt es nicht besonders okay vor. Wo willst du denn hin, kann ich dich begleiten?«
»Nein, ich meine … ich will … das ist wirklich nicht nötig, ich komme schon zurecht!«
»Mir wäre sehr viel wohler, wenn ich wüsste, dass du sicher nach Hause kommst.«
Julia sah auf und spürte plötzlich im ganzen Körper eine unendliche Müdigkeit.
»Aber ich gehe nicht nach Hause. Mein Zuhause ist nicht sicher!«
Die Worte rutschten ihr heraus, aus einem Trotz, dem es egal war, dass sie zu viel verriet. Die Bibliothekarin war erstaunt über die Stärke von Julias Aussage, gleichzeitig schien es eine so ruhige Feststellung zu sein, dass sie keinen Zweifel an ihrer Richtigkeit hatte.
»Aber wo willst du dann hin?«
Julia antwortete nicht, wusste nicht, was sie sagen oder sich einfallen lassen sollte.
»Du kannst doch nicht den ganzen Abend herumlaufen, es ist saukalt! Wo willst du schlafen?«
»Bei meiner Großmutter.«
Sie schaute der Frau in die Augen und hoffte, glaubhaft zu wirken. Die Bibliothekarin versuchte herauszubekommen, ob sie log.
»Okay. Dann werde ich mit dir dorthin gehen, damit ich sicher sein kann, dass du ankommst.«
»Okay.«
Julia steckte die Hände in die Taschen und ging los, sie wollte nicht zeigen, welches Chaos sich in ihrem Kopf drehte. Wo wohnte Emmas Großmutter gleich wieder? Pfarrhofstraße? Oder Bergstraße? Sie war einmal mit Emma dort gewesen und hatte die Großmutter besucht, sie würde es ungefähr finden, im Westen der Stadt, außerhalb des Zentrums.
Sie gingen schweigend durch die Dunkelheit, trafen auf dem ganzen Weg keinen Menschen.
»Wie heißt du?«
»Julia.«
»Was für ein schöner Name. Ich heiße Birgitta.«
Julia spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, knallrote runde Flecken, sie wusste genau, wie sie aussah, wenn sie verlegen wurde, und Birgittas Freundlichkeit machte sie verlegen. Sie wollte nicht lügen, aber sie konnte auch nichts erzählen. Eine Betonmauer lag im Weg und hinderte sie daran, es mit Worten auszudrücken. So groß und unüberwindlich. Dass der kleine Mut, der hin und wieder aufblitzte, sich gleich wieder versteckte.
Sie erkannte das grüne, zweistöckige Haus sofort. Eine Lampe stand in dem Fenster, wo sie Elins Wohnzimmer vermutete.
»Hier ist es. Hier wohnt meine Großmutter Elin.«
Birgitta schaute sie skeptisch an.
»Gut. Dann gehen wir hinauf und klingeln.«
Widerwillig ging sie die Treppe hinauf zu der Tür, wo Lindberg auf dem Briefschlitz stand.
Elin öffnete beim zweiten Klingeln und schaute sie erstaunt an.
»Julia?!«
Birgitta schaute erst Elin und dann Julia an.
»Ich bin Bibliothekarin, Julia hat den ganzen Tag in unserer Bibliothek gesessen. Als wir schließen mussten, wollte sie offenbar nicht nach Hause gehen. Ich weiß ja nicht, was passiert ist, aber sie sagte, sie würde bei ihrer Großmutter schlafen, und ja, ich wollte also mitkommen, um sicher zu sein, dass sie wirklich eine Großmutter hat, bei der sie
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