Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
von Kilometern hier her um sich ein paar Groschen zusammenzubetteln.
Heike Malek, eine der Sekretärinnen aus der Storm-Gesellschaft hatte ihm gestern die Handynummer von Ruppert Wraage gegeben und er hatte ihn auf einem Vortrag in Bremen erreicht. Der war sehr erstaunt gewesen, dass die Polizei ein Gespräch mit ihm wünschte. Er bestand auf einem Termin außerhalb seiner Wohnung. Swensen schlug das Café Tine vor, doch Wraage wollte lieber ein Treffen im Wintergarten des ›Theodor-Storm-Hotels‹, 10:30 Uhr.
Swensen guckt zur Uhr der Marienkirche. 10:03 Uhr. Noch etwas früh, denkt er. Es ist diesig und feuchtkalt. Er beschließt sich schon zum Treffpunkt zu begeben. Hinter dem Fotoladen biegt er nach rechts und geht die ›Neustadt‹ hinauf. Schon wieder hat sich das Gesicht der Straße verändert. Die kleinen Läden wechseln stetig. Die Pullover in einer Auslage sind verschwunden und durch ein Meer von Stoffblumen mit künstlichen Wassertropfen ersetzt worden. Kitsch hoch drei. Dafür sind andere Geschäfte unverwüstlich. Der Modellbauladen existiert bereits ewig, genauso wie der antiquarische Buchladen etwas weiter oben, in dem er in seiner freien Zeit gerne rumstöbert und schon manches Schnäppchen entdeckt hat. Als Swensen die Apotheke erreicht, kommt Ruppert Wraage dort gerade heraus.
»Herr Wraage?«, spricht er ihn an. Der wendet seinen Kopf, ruckartig wie ein Käuzchen und seine Augen prüfen ihn irritiert.
»Kennen wir uns?«
»Jan Swensen, Kripo Husum, wir sind in zehn Minuten verabredet.«
Wraages Augen nehmen etwas Erstauntes an: »Sie kennen mich?«
»Nur flüchtig, Herr Wraage! Ich war auf dem letzten Storm-Symposium.«
Wraages Gesicht hellt sich auf.
»Oh, es freut mich, Sie kennen zu lernen, Herr Swensen.«
Er streift seinen rechten Lederhandschuh ab und reicht Swensen die Hand. Der findet seine Stimme übertrieben freundlich.
»Gehen wir rüber!«, sagt Wraage und geht quer über die Straße auf das Hotel zu. Swensen folgt ihm. Der Mann hinter der Rezeption grüßt höflich zu Wraage hinüber, hebt den Arm und schnippt mit dem Finger. Ein Bediensteter stürzt an seine Seite, nimmt den beiden Männern die Mäntel ab und führt sie auf Wraages Wunsch zu einem Tisch im Wintergarten.
»Sie waren also auf dem letzten Storm-Symposium«, beginnt Wraage, während sie sich setzen. »Heißt das Storm interessiert Sie?«
»Leider nur beruflich, Herr Wraage! Es ist eher …« Swensen zögert einen Moment, »… meine Bekannte, die ›storminteressiert‹ ist. Ich hab sie damals nur mit aufs Symposium begleitet.«
Er ist mit seiner Formulierung nicht gerade glücklich, aber für das Wort Freundin fühlt er sich plötzlich zu alt und Frau stimmt eben nicht.
»Und jetzt sind Sie bestimmt wegen Herrn Peters hier?«
»Sie haben es erraten, Herr Wraage.«
»Ein schrecklicher Vorfall. Ich hab das gestern aus der Zeitung erfahren und bin immer noch völlig fassungslos.«
»Wir haben einen Beratervertrag bei Herrn Peters gefunden. Sie waren sein Geschäftspartner?«
»Ja, Herr Peters rief mich damals an, kurz nachdem er diesen sensationellen Fund gemacht hatte. Wir trafen uns dann persönlich und er bat mich ihm bei der Vermarktung zur Seite zu stehen.«
»Dazu habe ich ein paar Fragen, Herr Wraage.«
»Bitte, fragen Sie!«
»In dem Vertrag gibt es einen Passus, dass im Falle des Todes eines Vertragspartners dem anderen das gesamte erwirtschaftete Geld zufällt. Was sagen Sie dazu?«
»Was soll ich dazu sagen?«
»Nun, Sie machen einen Vertrag, und kurz darauf erschießt sich Ihr Vertragspartner oder ist sogar ermordet worden. Da könnte man doch nachdenklich werden, oder?«
Wraage zieht seine buschigen Augenbrauen hoch. Über der Nasenwurzel entstehen zwei Furchen.
»Herr Peters hat keinen Suizid begangen?«, fragt er, indem er seinen Blick in Swensens Augen bohrt. Doch der hält ihn aus.
»Das können wir zu diesem Zeitpunkt nicht sicher sagen.«
»Dann versteh ich die Frage nicht. Warum soll dieser Passus in dem Vertrag ungewöhnlich sein? Wenn ich jetzt tot wäre, würde Peters alles bekommen.«
»Mich macht der Passus stutzig! Wie stand Peters denn dazu?«
»Herr Swensen, darf ich fragen, worauf Sie hinaus wollen?«
»Beantworten Sie einfach meine Frage.«
»Na ja, Herr Peters war nicht gerade der hellste Kopf, Herr Swensen. Die Gunst der Stunde zu nutzen ist ja nicht strafbar, oder?«
»Was würden Sie sagen, wenn dieser Vertrag keine rechtliche Grundlage besitzt?«
»Wie
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