Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
soll ich das verstehen?«
»Herr Wraage, wir haben den Verdacht, dass Hajo Peters den entdeckten Storm-Roman gestohlen hat.«
»Gestohlen?«, wiederholte sein Gegenüber gelassen.
»Irgendwie hab ich mir so was Ähnliches schon gedacht«, murmelt er dann.
Swensen schaut Wraage verwundert an.
»Herr Swensen, seit Jahren fahnde ich nach diesem verschollenen Manuskript. Ich habe immer wieder unter größten Mühen Personen ausfindig gemacht, die irgendwie mit Theodor Storm in Verbindung stehen könnten, habe Hunderte von Kellern und Dachböden inspiziert. Trotzdem blieb die Suche erfolglos. Der Name Peters ist mir in diesem Zusammenhang nie untergekommen. Dass nun ausgerechnet er diesen Roman fand, ist mir die ganze Zeit schon suspekt vorgekommen.«
»Kennen Sie eine gewisse Edda Herbst?«
»Sie meinen die ermordete Frau?«
»Ja, kennen Sie sie?«
»Nein, aber ich weiß worauf Sie hinaus wollen. Herr Bonsteed erzählte mir von der Dame, wann weiß ich nicht mehr genau. Sie soll um mehrere Ecken mit Storm verwandt gewesen sein. Er hatte sie zu h ause besucht, aber nichts bei ihr entdeckt. Frau Herbst stand auch auf meiner Liste. Danach habe ich sie aber gestrichen.«
»Für wie glaubwürdig halten Sie die Auskunft von Herrn Bonsteed?«
»Das möchte ich nicht beurteilen, Herr Swensen. Aber ich bin da auch etwas voreingenommen. Ich habe so das Gefühl, dass Herr Bonsteed mich nicht besonders mag. Reines Konkurrenzdenken! Ich fürchte, ihn stört meine fachliche Kompetenz in Sachen Storm, auch wenn er vor anderen seine Abneigung kaum zugeben würde.«
Wraage schüttelt sich wie ein gespreizter Pfau. Swensen macht eine Pause und blättert demonstrativ in seinem Block.
»Wenn herauskommt, dass Peters den Roman wirklich bei Edda Herbst gestohlen hat, ist Ihr Vertrag mit Herrn Peters schlagartig Makulatur. Da würden Sie eine Menge Geld verlieren?«
»Was ist schon Geld, Herr Swensen?«
»Nun, es ist die Triebkraft fast aller Verbrechen!«
»Ich bitte Sie, Herr Swensen«, sagt Wraage mit strahlender Miene und lehnt sich genussvoll zurück. »Wenn Sie da auf meine Person anspielen, muss ich Sie enttäuschen. Ich bin Forscher und Experte. Ob der Roman gestohlen wurde oder nicht, ist mir ehrlich gesagt völlig egal. Ich stehe im Zenit meiner Karriere, so oder so. Wichtig für mich ist, dass es den von mir prophezeiten Storm-Roman wirklich gibt. Meine These wird endlich von allen Experten anerkannt werden müssen. Was glauben Sie, kümmert mich da der Verlust von ein paar Groschen aus dem Beratervertrag mit Peters. Ich werde in Zukunft die Kapazität in Sachen Storm sein. Mein Wort wird gehört werden, weit über Husum hinaus.«
Seine Augen blitzen vor Leidenschaft.
Ich könnte mir vorstellen, dass auch Wraage Bonsteed unterschwellig nicht ausstehen kann, denkt Swensen. In puncto Überheblichkeit geben sich beide jedenfalls nichts. Nur Wraage ist rhetorisch noch weniger zu packen. Was wollte ich eigentlich von ihm hören?
Swensen merkt, dass er seinen Faden verloren hat. Wraage scheint seinen Schwachpunkt zu spüren.
»War das alles, Herr Swensen?«, fragt er mit süffisantem Unterton.
»Wie war Ihr Verhältnis zum ermordeten Dr. Kargel?«, fragt der Kommissar aus lauter Verlegenheit.
»Kargel? Kargel war ein bornierter alter Mann, der seiner verlorenen Zeit hinterherhinkte.«
»Nicht gut, wie ich aus Ihren Worten entnehme?«
»Es ist schließlich kein Geheimnis. Dr. Kargel war in zigfacher Weise schlimmer als Bonsteed. Kargel hasste mich und ich war auch nicht besonders angetan von ihm. Damit war ich allerdings auch nicht allein.«
»Denken Sie an jemand Bestimmtes?«
»Schätze mal, die gesamte Storm-Gesellschaft, die Sekretärinnen mit eingeschlossen. Man wartete nur darauf, ihn einigermaßen human in den Ruhestand zu schicken. Fragen Sie mal einige der Mitglieder.«
»Spekulieren Sie nicht auch auf den Posten als Vorsitzender der Stormgesellschaft?«
»Wer hat ihnen das gesteckt?«, Wraage verliert für einen Augenblick die Fassung, fängt sich aber sofort wieder. »Das können Sie nur von Bigdowski haben, stimmt’s?«
»Ich stelle hier die Fragen, Herr Wraage.«
»Auf den Posten haben es viele abgesehen, Bonsteed zum Beispiel. Niemand weiß, welches Spielchen Bigdowski in dem Zusammenhang betreibt. Vielleicht ist er selber interessiert?«
»Und Sie sind es auch?«
»Jein, Herr Swensen, ich komme genauso gut ohne den Posten aus. Meine Kompetenz als Storm-Experte wird mich nicht brotlos werden
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