Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
verglichen, die von den verschiedenen Tatorten stammen. Die Zugprofile aller Patronen sind eindeutig identisch. Die Waffe, mit der Herbert Kargel und Rüdiger Poth erschossen wurden, ist dieselbe Waffe, mit der sich auch Hajo Peters erschossen hat.«
Swensen blieb für einen kurzen Moment richtig die Luft weg. Mit so einem klaren Ergebnis hatte er nicht gerechnet.
»Herr Swensen, sind Sie noch da?«, hörte er Schrotts Stimme unwirklich aus der Ferne.
»Ja, ich bin noch da«, antwortete er, nachdem er vorher tief durchgeatmet hatte. »Sie sind natürlich völlig sicher, oder?«
»Welche Frage, Herr Swensen!«
»Danke, Herr Schrott«
Swensen stand wie angewurzelt mit dem Hörer in der Hand. Das Freizeichen piepte. Da stimmt etwas nicht, war sein erster Gedanke. Auf der anderen Seite, wer war er, dass er an dem Untersuchungsergebnis aus Kiel zweifeln konnte. Swensen trat ans Fenster und sah in den Hinterhof. Die beiden alten Eichen standen, scharfkantigen Scherenschnitten gleich, vor dem tiefgrauen Abendhimmel, unumstößlich wie das Gutachten des Ballistikexperten Schrott.
Wahrscheinlich möchte ich nur nicht, dass Püchel einfach recht hat, dachte er, als er sich zu dessen Büro aufmachte. Es kam, wie es kommen musste, sein Chef rastete vor Begeisterung schier aus.
»Was hab ich dir die ganze Zeit gesagt, Jan«, jubelte er lauthals. »Jetzt ist es unumstößlich raus, Hajo Peters ist für den ganzen Kram verantwortlich. Der konnte die Schuld einfach nicht mehr ertragen. Unsere Mordfälle sind mit einem Schlag vom Tisch und das ist hauptsächlich dein Verdienst, Jan. Was meinst du, sollten wir nicht so schnell wie möglich eine Pressekonferenz anberaumen?«
»Ich finde wir sollten noch abwarten, Heinz. Es liegen nicht alle Untersuchungsergebnisse vor!«
»Ich finde, jetzt wirst du pingeliger als der Papst.«
Swensen merkt, dass ihm kalt wird. Außerdem ist die Haut seiner Hände schon schrumpelig. Er steigt aus der Wanne, trocknet sich ab, zieht seinen Bademantel an und pustet die Kerzen aus. Im Wohnzimmer macht er es sich auf dem Sofa bequem. Trotz Bad keine Spur von Entspannung. Das Gehirn arbeitet unentwegt. Er sieht Peters verstörten Gesichtsausdruck, sieht ihn im schummrigen Licht seiner Videothek stehen, damals bei seinem Verhör.
Er vermied krampfhaft jeden Augenkontakt. Man konnte das schlechte Gewissen förmlich spüren und bei Swensen wuchs das Misstrauen.
»Wann haben Sie Edda Herbst das letzte Mal gesehen?«, hatte er Peters gefragt und ihn dabei unauffällig gemustert. Der bullige Mann wirkte kraftlos wie ein schlaffer Mehlsack, die breiten Schultern hingen herunter. Es bildeten sich dicke Schweißperlen auf seiner Stirn. Die Finger seiner klobigen Hände wischten beim Sprechen immer wieder nervös über die Holzoberfläche des Tresens.
»Letzten Montag! Frau Herbst wollte am nächsten Tag für drei Wochen in den Urlaub gehen.«
Kinderschänder gefasst? Auf dem Wohnzimmertisch liegt noch die alte Tageszeitung von gestern. Swensen war nicht dazu gekommen den Artikel zu lesen. Heute war die Leiche der zwölfjährigen Janina Eggers im Wald gefunden worden. Der Täter hatte in der Zwischenzeit gestanden und den Beamten den Tatort verraten. Swensen schlägt die Zeitung auf und sieht sich das Foto des Täters an, unter dem ›der mutmaßlicher Täter‹ steht.
Wahrscheinlich ticken wir Kriminalkommissare einfach nicht richtig, denkt er. Ich glaube, wir sind schon eine merkwürdige Spezies. Es gibt wohl keinen Beruf, der sich so sehr gegen das eigene, natürliche Wesen eines Menschen richtet, wie der bei der Kripo. Wir sehen Opfer, bestialisch zugerichtet, und im nächsten Moment reichen uns die Täter ihre Hand, mit der sie das Schreckliche getan haben und wir schlagen sie nicht aus. Wir müssen ein Vertrauensverhältnis zu jemandem aufbauen, den wir für einen Unmenschen halten, damit er auspackt oder sein Geständnis nicht widerruft, oder, oder.
Mein buddhistisches Weltbild gerät da fast immer ins Wanken. Liebe und Mitleid mit deinem Nächsten sollte mit Weisheit und Wissen gepaart sein, war eine Weisheit von Meister Rinpoche. Über den Umgang mit einem Mörder hatte er nichts gesagt. Manchmal kann ich meine Abscheu kaum verbergen. Mit so einem Gefühl im Bauch muss man dann auch noch einen Täter vor aufgebrachten Anwohnern beschützen und gleichzeitig beruhigend auf ihn einreden.
Swensen starrt noch immer auf das Zeitungsfoto. Irgendwie irre, dass die Flensburger ihren Fall zur
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