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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Kollegen verblüfft an. In den kühnsten Träumen hatte er nicht damit gerechnet, dass so ein junger Spund, jemand der die 68er höchstens vom Hörensagen kennen konnte, dieses Zitat wie selbstverständlich ergänzt.
    »Dann weiß du ja auch, was zu tun ist, Genosse Kommissar!«
    »Klar! Kfz-Zulassungsstelle löchern. Ich klemm’ mich gleich dahinter.«
    »Ruf mich bitte unbedingt an, wenn du heute etwas Neues rauskriegst. Ich werde mein Handy den ganzen Tag eingeschaltet lassen.«
     
    * * *
     
    Ein grauer Schatten schießt von rechts hinter einer Hecke aus den Haselnusssträuchern hervor. In einem Atemzug rast er heran. Ehe Swensen in dem Umriss des Schattens eine Gestalt erkennen kann, knallt dieser schon gegen den rechten Kotflügel, fliegt schräg nach oben und saust am rechten Seitenfenster vorbei. Swensen tritt voll in die Bremsen. Die Räder blockieren. Der alte VW-Polo schlittert zur Seite weg, gerät auf den Grünstreifen. Intuitiv nimmt er den Fuß kurz von der Bremse. Die Räder fassen wieder, reißen den Wagen herum. Er schleudert quer über die Fahrbahn und kommt auf der anderen Straßenseite direkt vor einem Graben zum Stehen. Swensen hängt bewegungslos im Sicherheitsgurt. Sein Kopf ist leer. Er starrt durch die Frontscheibe auf die Marschwiese. In der Ferne dreht sich ein Windrad langsam wie in Zeitlupe. Die Rotorblätter streifen über die Augäpfel. Die Zeit steht still. Swensen schließt die Augen, sieht den Schatten heranrasen, hört den dumpfen Knall, das Quietschen der Räder. Er reißt die Augen wieder auf, drückt den Hebel der Fahrertür herunter, stößt die Tür auf, löst den Gurt und zieht sich am Karosseriedach nach draußen. Er zittert, merkt wie seine Knie schlottern. Ihm ist kalt. Von der anderen Straßenseite klingt ein feines Fiepen herüber. Swensen erwacht wie aus einem Traum. Panik steigt in ihm auf. Er fixiert die Richtung des Geräuschs und läuft darauf zu. Im Graben liegt ein junger Rehbock auf der Seite. Er hat eine klaffende Fleischwunde am Hals, Blut läuft aus der Nase. In den riesigen braunen Augen steht Todesangst. Mit rudernden Beinbewegungen versucht das Tier sich mühevoll aufzurichten, sinkt aber immer wieder kraftlos zurück. Das Fiepen hat sich in ein Bellen gewandelt. Swensen steht da, sieht wie sich der grazile Körper vor ihm windet. Gedanken schwirren ihm durch den Kopf: Handeln! Verwundet! Sterben! Erlösen! Pistole! Mitgefühl! Er kann aber keinen fassen. Er greift sich an die Brust. Natürlich ist da kein Schulterhalfter. Er trägt es schon seit Jahren kaum noch, höchstens mal bei Festnahmen. Meistens schleppt er die Dienstwaffe nur von seiner Schrankschublade zuhause in seine Schreibtischschublade im Büro und zurück. Jetzt liegt sie in einer Tasche im Kofferraum. Swensen erwacht wie aus einer Trance, die Geräusche sind wieder da. Autos zischen vorbei, Kühe brüllen irgendwo, eine Elster kreischt ihr lautes ›Schack, Schack, Schack‹ im Baum neben ihm. Swensen wundert sich, dass keiner der Fahrer anhält. Er wartet, bis die Straße frei ist, geht zu seinem Wagen hinüber, öffnet den Kofferraum, zieht den Reißverschluss der Tasche auf, wühlt die Waffe heraus und geht zurück zu dem angefahrenen Reh. Er wartet bis in beiden Richtungen kein Fahrzeug zu sehen ist. Dann entsichert er die Waffe. Als er sich dem Tier nähert, will es aufspringen, kann aber nur den Kopf heben. Swensen blickt ihm direkt in die Augen. Er hebt die Waffe, zielt aus drei Meter Entfernung auf die Stirn und drückt ab. Ein Knall. Seine Hand wird nach oben gerissen. Er zuckt erschreckt zusammen. Ein dicker Blutstrahl spritzt in die Luft. Mit einem rollenden ›Schackerack‹ flattert die Elster davon. Der Kopf des Rehs fällt lautlos zur Seite. Er hört, wie die Kuhherde mit donnernden Hufen flüchtet, dann eine Polizeisirene. Swensen sichert die Waffe und steckt sie in die Manteltasche. Am Horizont taucht ein Blaulicht auf. Er sieht, wie ein Streifenwagen durch die flache Landschaft näher kommt und wenig später am Straßenrand vor seinem Wagen stoppt. Die beiden Polizisten steigen bedächtig aus.
    »Jemand hat uns hier einen Unfall gemeldet!«, ruft einer herüber. »Sind Sie Okay?«
    »Alles in Ordnung!«, antwortet Swensen und geht auf die Beamten zu.
    »Ein Reh ist mir vor den Wagen gelaufen. Mir ist aber nichts passiert. Wollte Sie gerade anrufen. Ich bin sozusagen Kollege, Jan Swensen von der Kripo Husum.«
    Swensen zieht seinen Ausweis aus der Manteltasche und hält

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