Hafen der Träume: Roman (German Edition)
anscheinend öfter um Geld angehauen.« Phillip bemühte sich, ruhig und überzeugend zu wirken, etwa so wie er einen verängstigten jungen Hund beruhigen würde. »Wir haben heute erfahren, dass sie Eltern hat und eine Schwester.«
»Ich muss aber nicht zu denen. In seinem Kopf schrillte eine Alarmglocke. Er schob heftig seinen Stuhl zurück und sprang auf. »Ich kenne die Leute nicht. Ich muss nicht zu denen.«
»Nein, musst du nicht.« Phillip fasste Seth beruhigend am Ellbogen. »Aber du solltest wissen, wer die Leute sind.«
»Will ich aber nicht.« Sein Blick flog flehend zu Cam. »Ich will nichts von denen wissen. Ihr habt versprochen, ich kann bei euch bleiben. Ihr habt gesagt, daran ändert sich nichts.«
Die Verzweiflung des Jungen erschütterte Cam. Er deutete auf den Stuhl. »Du bleibst bei uns. Daran ändert sich wirklich nichts. Aber mit Weglaufen löst du keine Probleme. Setz dich!«
»Schau dich mal um, Seth.« Ethans Tonfall war sachlich, die Stimme der Vernunft. »Hier sind fünf Menschen, die zu dir stehen.«
Seth wollte es glauben. Aber wie sollte er erklären, dass es ihm leichter fiel, Drohungen und Lügen zu glauben als Versprechungen? »Was wollen die Leute? Wie haben sie mich gefunden?«
»Vor ein paar Wochen hat Gloria ihre Schwester angerufen«, begann Phillip von neuem, als Seth sich wieder setzte. »Erinnerst du dich an ihre Schwester?«
»Ich erinnere mich an niemand«, murmelte er und zog den Kopf zwischen die Schultern.
»Deine Mutter hat sich eine Lügengeschichte für ihre Schwester ausgedacht und ihr gesagt, wir hätten dich ihr weggenommen.«
»Sie ist eben voller Scheiße.«
»Seth.« Anna bedachte ihn mit einem strengen Blick, und der Junge zog die Schultern noch höher.
»Sie hat sich Geld von ihrer Schwester für einen Rechtsanwalt erschwindelt«, fuhr Phillip in seinem Bericht fort. »Sie hat behauptet, sie sei pleite und verzweifelt, weil wir sie bedroht haben und sie brauchte Geld, um dich zurückzuholen.«
Seth fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Und ihre Schwester hat ihr das abgenommen? Die muss total bescheuert sein.«
»Mag sein. Vielleicht hat sie auch nur ein weiches Herz. Jedenfalls hat die Schwester ihr nicht die ganze Geschichte abgenommen. Sie wollte sich selbst ein Bild machen und kam nach St. Chris.«
»Sie ist hier?« Seths Kopf schnellte hoch. »Ich will sie nicht sehen. Ich will nicht mit ihr reden.«
»Das hast du aber bereits. Sybill ist Glorias Schwester.«
Seths dunkelblaue Augen weiteten sich, seine erhitzten Wangen wurden bleich. »Das kann nicht sein. Sie ist ein Doktor. Sie schreibt Bücher.«
»Trotzdem ist sie ihre Schwester. Als ich heute mit Cam und Ethan nach Hampton fuhr, haben wir sie gesehen.«
»Ihr habt sie gesehen? Ihr habt Gloria gesehen?«
»Ja, wir haben sie gesehen. Beruhig dich.« Phillip legte eine Hand auf Seths verkrampfte Faust. »Sybill war auch da. Sie hat eine Kaution für ihre Schwester bezahlt. Und so haben wir die Geschichte erfahren.«
»Sie ist eine Lügnerin.« Seths Stimme überschlug
sich. »Genau wie Gloria. Sie ist eine verdammte Lügnerin.«
»Lass mich ausreden. Wir haben vereinbart, beide morgen in Annas Büro zu treffen. Wir müssen Fakten bekommen, Seth«, versicherte er, als der Junge ihm seine Hand entriss. »Nur so können wir endlich Klarheit schaffen.«
»Ich komme nicht mit.«
»Das kannst du selbst entscheiden. Wir glauben nicht, dass Gloria erscheinen wird. Ich habe vor einer halben Stunde mit Sybill gesprochen. Gloria ist abgehauen.«
»Dann ist sie also weg.« Erleichterung und Hoffnung begannen die Angst des Jungen zu besiegen. »Ist sie wirklich fort?«
»Sieht so aus. Sie hat Geld aus Sybills Brieftasche geklaut und ist verduftet.« Phillip blickte zu Ethan hinüber und las wütende Resignation im Gesicht des Bruders. »Sybill erscheint morgen in Annas Büro. Ich halte es für vernünftiger, wenn du mitkommst und mit ihr sprichst.«
»Ich hab’ ihr nichts zu sagen. Ich kenne sie nicht. Ich will nichts mit ihr zu tun haben. Sie soll mich in Ruhe lassen.«
»Sie kann dir nicht wehtun, Seth.«
»Ich hasse sie. Sie ist genau wie Gloria und tut nur so, als sei sie anders.«
Phillip sah Sybills schuldbewusstes, gequältes Gesicht vor sich und seufzte. »Auch das kannst du selbst entscheiden«, sagte er. »Aber um das entscheiden zu können, solltest du sie sehen und dir anhören, was sie zu sagen hat. Sie erzählte mir, sie hat dich kennen gelernt, als du noch ein
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