Hafen der Träume: Roman (German Edition)
und ging mit festen Schritten den Flur entlang.
Ihr Herz schlug dumpf, als sie in der offenen Tür stand. Sie waren alle da und warteten. Anna, hinter dem Schreibtisch, wirkte professionell in ihrem dunkelblauen Blazer und hochgesteckten Frisur. Vor ihr lag eine Akte aufgeschlagen.
Grace saß neben Ethan, der ihre Hand hielt. Cam stand mit finsterer Miene am Fenster, daneben saß Phillip und blätterte in einem Magazin.
Seth saß zwischen den Brüdern, den Blick auf den Fußboden gerichtet, mit verkniffenem Mund und hochgezogenen Schultern.
Sybill nahm allen Mut zusammen und setzte zum Sprechen an. Im selben Augenblick hob Phillip den Kopf und heftete seinen Blick auf sie. Dieser lange Blick gab ihr zu verstehen, dass er über Nacht nicht milder gestimmt worden war. Sie achtete nicht auf ihren fliegenden
Puls und grüßte mit einem stummen Kopfnicken in die Runde.
»Sie sind pünktlich, Dr. Griffin«, sagte Phillip, und plötzlich waren alle Augen auf sie gerichtet.
Blicke, die sie versengten und aufspießten. Sie machte den letzten Schritt über die Schwelle auf das Territorium der Quinns. »Danke, dass Sie alle gekommen sind.«
»Oh, es ist uns ein Vergnügen.« Cams Stimme war gefährlich weich. Seine Hand lag auf Seths Schulter, eine besitzergreifende und beschützende Geste zugleich.
»Ethan, machst du bitte die Tür zu?« Anna verschränkte die Hände über der Akte. »Nehmen Sie Platz, Dr. Griffin.«
Dies war nicht der Ort, wo man sich beim Vornamen nannte. Die freundschaftliche, weibliche Vertrautheit, die in der gemütlichen Küche bei dampfenden, duftenden Kochtöpfen gepflegt worden war, war verschwunden.
Sybill setzte sich auf den freien Stuhl vor Annas Schreibtisch, legte die Handtasche auf ihren Schoß, hielt sie mit klammen Fingern und schlug elegant die Beine übereinander.
»Bevor wir beginnen, würde ich gern etwas sagen.« Sybill holte tief Luft, als Anna zustimmend nickte, verlagerte sie ihr Gewicht und blickte Seth ins Gesicht, der den Blick weiter auf den Boden gesenkt hielt. »Ich bin nicht gekommen, um dir wehzutun, Seth, oder dich unglücklich zu machen. Es tut mir Leid, dass ich den Eindruck erweckt habe. Wenn es dein Wunsch ist, bei den Quinns zu leben, und wenn es deinen Bedürfnissen entspricht, werde ich gern helfen, damit du bei ihnen bleiben kannst.«
Seth hob den Kopf und sah sie an. Seine Augen waren erschreckend erwachsen und hart. »Ich will Ihre Hilfe nicht.«
»Aber vielleicht brauchst du sie«, sagte sie leise und wandte sich wieder an Anna. Sybill bemerkte in ihrem Blick Interesse und noch etwas, das ihr wie Aufgeschlossenheit erschien, wie sie hoffte. »Ich weiß nicht, wohin Gloria verschwunden ist. Tut mir Leid. Ich habe sie längere Zeit nicht gesehen und ich … mir war nicht klar, wie sehr sie … wie instabil sie ist.«
»›Instabil‹«. Cam schnaubte verächtlich. »Dass ich nicht lache.«
»Sie hat sich mit Ihnen in Verbindung gesetzt«, begann Anna und warf ihrem Ehemann einen warnenden Seitenblick zu.
»Ja, vor ein paar Wochen. Sie war völlig durcheinander, behauptete, Seth sei ihr gegen ihren Willen weggenommen worden und sie brauche Geld für einen Anwalt, um ihr Sorgerecht zu verteidigen. Sie weinte hysterisch und bat mich um Hilfe. Nach einigem Hin und Her erfuhr ich, bei wem Seth war und wo er wohnte. Daraufhin habe ich meiner Schwester fünftausend Dollar geschickt.«
Sybill hob die Hände. »Erst gestern, als ich mit Gloria sprach, wurde mir klar, dass es gar keinen Anwalt gibt. Gloria war schon immer eine gute Schauspielerin. Das hatte ich vergessen oder vorgezogen, es zu vergessen.«
»Wussten Sie, dass ihre Schwester ein Drogenproblem hat?«
»Nein. Das wurde mir auch erst gestern klar. Als ich sie sah und mit ihr sprach, begriff ich, dass sie momentan nicht in der Verfassung ist, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen.«
»Dieser Frau geht es nicht um die Verantwortung für das Kind«, meldete sich Phillip zu Wort.
»Das sagten Sie bereits«, entgegnete Sybill kühl. »Sie wiesen darauf hin, dass sie Geld will. Auch ich weiß, dass Geld für Gloria das Wichtigste ist. Und mir ist auch
klar, dass sie nicht stabil ist. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass sie all das getan haben soll, was Sie ihr vorwerfen, ohne Beweise zu haben.«
»Sie wollen Beweise?« Cam trat vor, seine Wut schlug beinahe sichtbare Wellen. »Die kriegen Sie. Zeig Ihr die Briefe, Anna.«
»Cam, bitte setz dich«, befahl Anna streng, ehe sie sich
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