Hafenmord - ein Rügen-Krimi
»Gerne.«
Die Küche war größer als Romys Wohnzimmer und verfügte wahrscheinlich über gehobenen Gastronomiestandard, wie die Kommissarin nach einem schnellen Rundumblick mutmaßte. Schwarz-weiße Marmorfliesen blitzten vor Sauberkeit, der Herd thronte majestätisch in der Mitte des Raumes, Kupferpfannen hingen von freiliegenden Balken herab, und die Kühl-Gefrierkombination hatte die Dimension eines Kleinwagens.
Gut gefüllt könnte man wahrscheinlich wochenlang über die Runden kommen, ohne zu verhungern, dachte Romy, was in harten Wintern mit viel Schnee – so wie der letzte, als der Verkehr auf der Insel völlig zusammengebrochen war – sicherlich nicht die schlechteste Idee war. Richardts Geschäfte gingen augenscheinlich hervorragend. Oder die Familie hatte von Hause aus Geld. Oder beides.
Auf dem Esstisch am Fenster standen Blumen. Rosen. Es war auffallend still im Haus.
»Wo sind eigentlich Ihre Kinder?«, fragte Romy und blieb neben dem Herd stehen. »Schule? Kindergarten?«
»Nein. Sie sind bei meinen Eltern. Ich brauche Ruhe.«
»Ich verstehe.«
Vera Richardt warf ihr einen zweifelnden Blick zu und gab sich keinerlei Mühe, ihre Skepsis zu verbergen. Prima, sie mag mich nicht, und ich mag sie wahrscheinlich noch weniger, stellte Romy fest. Das war für die Ermittlungen alles andere als hilfreich, aber im Moment unabänderlich.
»Gibt es Neuigkeiten?«, fragte die Witwe und setzte den Wasserkessel auf. Sie bot Romy keinen Sitzplatz an.
»Der Laptop Ihres Mannes gibt nicht allzu viel her«, sagtedie Kommissarin. »Die Festplatte wurde gelöscht beziehungsweise neu formatiert, und zwar ziemlich professionell, wie unser Fachmann sagt. Wissen Sie etwas darüber?«
Die Witwe nahm eine Tasse aus dem Schrank. »Kai hatte ihn erst seit kurzem und wollte sich am Wochenende damit beschäftigen«, erwiderte sie.
»Ich weiß, das sagten Sie bereits gestern. Kannte er sich gut aus mit Computern? Hat er häufiger mal einen PC völlig neu aufgesetzt?«
Vera Richardt nickte. »Ja, Technikkram interessierte ihn. Er wusste eine ganze Menge – soweit ich das beurteilen kann.«
»Ihr Mann hatte zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit in Bergen einen Partner, Jürgen Dreyer. Hat er mal von dem erzählt?«, fuhr Romy fort.
»Nur beiläufig. Ich kenne den gar nicht.«
Der Wasserkessel pfiff. Die Witwe stellte eine bauchförmige Teekanne bereit und goss das Wasser auf. Dann sah sie auf die Uhr, bevor ihr Blick langsam wieder zu Romy wanderte. Sie strich sich das Haar nach hinten. »Haben Sie noch mehr Fragen? Ich würde nämlich gern …«
»Hat Ihr Mann Sie geschlagen?«
Vera Richardt erbleichte. »Wie bitte?«
»Sie haben mich ganz gut verstanden.«
»Wie kommen Sie …?«
»Ganz einfach. Die erste Ehe von Kai Richardt scheiterte an seiner Gewalttätigkeit.«
Die Frau ließ die Arme sinken und starrte sie perplex an. »Und was hat das mit mir, mit uns zu tun? Ich habe gestern meinen Mann verloren – durch ein schreckliches Gewaltverbrechen, das ich eben erst zu begreifen beginne –, und Sie stellen mir eine solche Frage! Etwas mehr Feingefühl wäre durchaus angebracht.« Ihr Ton war hoch und schrill.
»Ja, ich stelle Ihnen eine solche Frage«, antwortete Romy gelassen. »Weil sie förmlich auf der Hand liegt: Ihr Mann wurde ermordet, und eine geprügelte Ehefrau hat ein ganz gutes Motiv, oder?«
Vera Richardts Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. »Wie kommen Sie dazu …?«
»Erkläre ich Ihnen auch gern: Ich muss alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen, auch wenn das nicht immer feinfühlig wirkt. Das ist mein Job, und im Übrigen geht es bei Mord selten feinfühlig zu. Ihr Mann starb am Sonntagmorgen ...«
»Ich habe ihn am Samstag als vermisst gemeldet!«, fauchte Vera Richardt.
»Ich weiß.« Romy zuckte die Achseln. »Und?«
»Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.«
»Das werde ich. Hat er Sie geschlagen – ja oder nein?«
»So ein Quatsch!«
Das war auch eine Antwort. Romy lächelte und wies auf die Blumen. »Schöne Rosen.« Damit drehte sie sich um und verließ das schmucke Haus.
Als sie zehn Minuten später ihre Vespa vor dem Polizeigebäude abstellte, fuhr Kasper gerade auf den Parkplatz. Sie wartete am Eingang auf ihn.
»Noch mehr böse Überraschungen?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Das nicht, aber …«
»Ja?«
»Lass uns erst mal hochgehen. Dann zeige ich dir die Pläne.«
Kasper nahm sich einen Kaffee und breitete eine Grundrisszeichnung von der
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