Hafenmord - ein Rügen-Krimi
Frau unterschlagen hat …«
»Hat er.«
»Verraten Sie mir, wie Sie so sicher sein können, dass es den Brief wirklich gab?«
Sonja Steinfels zeigte plötzlich ein strahlendes Lächeln. »Ich kannte sie länger als er. Sie hat gern geschrieben. Sie wäre nicht ohne Worte gegangen.«
»Sie stand unter Schock«, wandte Romy ein.
»Eben darum. Sie konnte kaum darüber sprechen, auch nicht mit mir. Sie war wie gelähmt. Aber als sie die Entscheidung traf … zu gehen, da hätte sie uns etwas zurückgelassen«, beharrte die Frau mit klarer Stimme.
»So ein Brief wäre ein wichtiges Indiz gewesen, auch bezüglich der Ermittlungen in dem anderen Fall, der die Behörden vor gut fünf Jahren beschäftigte.«
»Ich weiß«, stimmte Steinfels zu. »Die Polizei war ja seinerzeit auch noch einmal bei Gunnar. Und bei mir. Er blieb dabei, und ich bleibe auch dabei. Sie hat den Brief geschrieben. Er konnte den Inhalt nicht ertragen und hat ihn vernichtet. Wissen Sie … bei Vergewaltigungen bleibt immer was hängen. An den Frauen. Das kennt man aus vielen Kulturen. Der Mann ist ein Schwein, ein Verbrecher und so weiter, aber die Frau ist beschmutzt – für immer.«
Romy nickte. »Ja, ich weiß.« Sie überlegte kurz. »Hatte Maria eigentlich, abgesehen von Ihnen, noch andere Freunde, Vertraute – im Job zum Beispiel?«
»Ich war ihre engste Vertraute, immer. Aber sie kam gut klar mit ihren Arbeitskollegen und Kolleginnen, und der Beruf hat ihr Freude gemacht.« Steinfels verzog das Gesicht. »Versicherungsbranche – das habe ich, ehrlich gesagt, nie richtig verstanden. Aber Maria hatte die Gabe, immer das Kreative in ihrem Alltag zu sehen. Bewundernswert. Ich erinnere mich noch, wie die Geschäftsstelle damals umgestaltet wurde – neue Büroeinrichtung und Ausstattung und so weiter. Sie hat das Chaos richtig genossen und selbst Vorschläge bei der Auswahl der Möbel gemacht. Der Chef hat ihr nahezu freie Hand gelassen in der Zusammenarbeit mit diesem Architekten. Das hat sie sehr genossen.«
Romy atmete tief durch. Sonja Steinfels brach ab und musterte sie eingehend. »Habe ich was Falsches gesagt?«
»Aber nein.«
»Haben Sie noch mehr Fragen? Wenn ich ehrlich bin … Sie sehen ja selbst, wie es hier aussieht, und ich ...«
Romy stand sofort auf. »Nein, das war es vorerst. Danke für Ihre Zeit, Frau Steinfels, und alles Gute.«
Es war der größte Fehler, den er je gemacht hatte. Bis an sein Lebensende würde er ihn bereuen. Davon war Gunnar zutiefst überzeugt.
Er hatte damals zwei Möglichkeiten gehabt: Entweder den Brief zu lesen und ihn der Polizei auszuhändigen oder aber ihn ungelesen zu vernichten. Aber er war dumm gewesen. Er hatte ihn gelesen und nicht nur sofort vernichtet, sondern auch geleugnet. Dabei hätte er wissen müssen, dass sein fotografisches Gedächtnis alles gespeichert hatte – jeden Satz, jedes Wort, jedes Komma, jedes anklagende Ausrufezeichen. Ob er wollte oder nicht.
Und der Speicher ließ sich nicht mehr leeren. Er war wie ein Fluch, der ihn nicht mehr loslassen wollte. Vielleicht nie mehr. Je vehementer er den Brief leugnete und sich in den Fallstricken seiner Lüge verfing, umso klarer stand er vor seinem inneren Auge. Immer wieder. Manchmal schreckte er mehrere Nächte hintereinander hoch, immer gegen zwei Uhr in der Frühe und sah die handgeschriebenen Zeilen Wort für Wort vor sich – bis zum bitteren Ende. Dann wieder hatte er zwei Wochen Ruhe, vielmehr setzte eine Art stilles Verharren ein. Wenn er Glück hatte, auch für vier oder sechs Wochen. Manchmal. Bis es wieder losging. Seit fast sechzehn Jahren.
Vor zehn Jahren hatte er im Urlaub in Spanien ein Kloster aufgesucht. Er fand es selbst albern. Nie zuvor hatte die Kirche eine Rolle in seinem Leben gespielt oder der Glaube. In seinen Augen war es kindisch, an einen Gott zu glauben – der stellte für ihn nichts anderes dar als eine Krücke für die Menschen, die sich mit dem Tod nicht abfinden konnten. Der Priester sprach Deutsch.
Gunnar erzählte ihm die Geschichte von Marias Brief, weil sie plötzlich aus ihm heraussprudelte, völlig ungeplant und zu seiner eigenen Verblüffung. Noch bevor er geendet hatte, war ihm ebenso plötzlich klargeworden, dass der Priester ihm raten würde, den Brief aus dem Gedächtnis aufzuschreiben und der Polizei zukommen zu lassen. Das war die Buße, die zu tun war. Dann würde er Ruhe finden.
Er war gegangen, bevor der Gottesdiener zu einer Antwort angesetzt hatte. Und seinen
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