Hafenmord - ein Rügen-Krimi
unausgesprochenen Rat hatte er bis heute nicht beherzigt. Weil er es nicht schaffte, sich den Vorwürfen zu stellen, die Maria ihm gemacht hatte. Und der Wahrheit, die aus ihnen sprach und auch allen anderen zuteilwerden würde. Das ertrug er nicht.
Er hätte sie nie wieder anfassen können, nach dem, was der Entführer mit ihr gemacht hatte. Jeden Tag hatte der sie gefesselt und vergewaltigt. Brutal vergewaltigt. Und danach gewaschen. Von Kopf bis Fuß. Jede Körperöffnung hatte er gesäubert, langsam, fast hingebungsvoll. Gunnar war erstaunt gewesen, wie umsichtig Maria ihre Worte zu wählen bemüht war. Manchmal hatte der Maskierte dabei gesummt, um sie ein anderes Mal voller Verachtung und Hass zu beschimpfen – in einem seltsam drängenden, leisen Tonfall. Dann hatte sie in der Dunkelheit wieder auf ihn warten müssen. Geknebelt, gefesselt, oft mit verbundenen Augen. Es war dunkel und kühl, es roch merkwürdig, und sie hatte das Gefühl, dass er immer da war und sie beobachtete. Und dass ihm nichts entging. Kein Zucken, kein Gefühl und auch kein Gedanke.
Sie war sicher, dass er sie töten würde. Sie versuchte, nett zu ihm zu sein. Dafür schlug er sie. Als er ihr die Tabletten gab, hatte sie sich mit dem Tod abgefunden. Sie war erstaunt, als sie wieder aufwachte. Nackt auf einer Raststätte an der Autobahn. Aber das Martyrium war noch nicht vorbei.
Ich ertrage Deine Scham nicht,
hatte Maria geschrieben,
Deine Scham und Deine Verachtung. Hure steht nur mühsam verschleiert in Deinen Augen, und Du senkst den Blick, wenn ich Dich ansehe und um Zärtlichkeit, Trost und Wärme flehe. Vielleicht hast Du doch eine Wahl gehabt, denkst Du immer wieder. Ich spüre den Gedanken, auch wenn Du versuchst, ihn zu verbergen. Wer weiß, wo Du dem Mann begegnet bist und wie Du ihn angestachelt hast, flüstert es in
Dir. Aber der hat sich an meiner Furcht ergötzt. Das war der Stachel, der ihn getrieben hat. Nur deswegen war ich dort. Meine Seele ist gesplittert, sie hat sich in reine Angst verwandelt, und die Dunkelheit lässt mich nicht wieder los.
8
Romy war unzufrieden, als sie im Kommissariat eintraf – und das war eine geschönte Umschreibung. Andererseits: Was hatte sie erwartet? Dass Bernburg ihr reuevoll einen sechzehn Jahre alten Brief präsentierte, der wichtige Details offenbarte, die es ihr ermöglichten, innerhalb weniger Stunden den Fall komplett zu lösen? Tagträumerin, schimpfte sie lautlos.
Sie stapfte schnurstracks in ihr Büro und schloss die Tür mit herzhaftem Schwung. Die Nummer von Ricarda Meinold stand in ihrem Notizheft. Sie atmete dreimal tief durch und wollte gerade wählen, als Kasper anklopfte und eintrat.
»Greifswald war wohl nicht so toll«, stellte er fest. Er blieb stehen und lehnte sich an den Türrahmen.
»Sagen wir so: Die Exkursion hat nichts Neues ergeben. Und dass Maria Bernburg, wie ich den Erläuterungen der besten Freundin entnehmen konnte, ganz sicher mit Kai Richardt zusammengetroffen ist … nun ja, diese Tatsache haut mich nicht gerade vom Hocker. Darauf hat uns ja schon Max hingewiesen.« Sie hob beide Hände und ließ sie wieder sinken. »Ein Verdachtsmoment, der sich bestätigt hat, mehr nicht.«
Kasper ließ sie nicht aus den Augen. »Und was haut dich vom Hocker?«
»Die Erläuterungen der Freundin, dass Maria bei den Büroumbauarbeiten gemeinsam mit Richardt richtig kreativ bei der Sache war und Spaß hatte«, antwortete sie ohne Zögern. »Das macht mir üble Magenschmerzen, wenn ich ehrlich bin. Und der erwähnte Abschiedsbrief, auf den ich ein bisschen gehofft hatte, bleibt weiterhin verschwunden, weilein Ehemann seiner Frau nicht verzeiht, dass sie vergewaltigt wurde. Toll, was?«
Sie hörte selbst, wie wütend und aufgebracht ihre Stimme klang. Professionell distanziert war etwas anderes. Aber in dem Fach war sie noch nie besonders gut gewesen. Und dass sie Bernburg die Unterschlagung des Briefes unbewiesen vorwarf, würde jeden Juristen in schallendes Gelächter ausbrechen lassen – wenn er Humor hatte.
»Ach so ist das«, meinte Schneider ruhig. »Hak mal den Termin ab, Romy.«
Sie sah ihn an. Romy sagte er selten.
»Du bist nämlich auf dem richtigen Dampfer«, fuhr er fort. »Leider, wie ich in dem Fall finde.«
»Was?«
»Die Verbindungsnachweise von Tim Beiers Handy sind gerade eingetroffen – Fine hat da Dampf gemacht. Der Junge hat am Montag mit Mirjam Lupak telefoniert, wie Max gerade herausgefunden hat. Besser gesagt: Er hat am Morgen in
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