Hafenmord - ein Rügen-Krimi
gerade die Praxis verließ, um in der Mittagspause einkaufen zu gehen. Ben hatte am Morgen gesagt, dass er gerne mal wieder eine selbstgemachte Pizza essen würde, und sie hatte die Zutaten besorgen wollen.
»Ich muss Sie bitten, mich zu begleiten«, sagte er leise. »Es ist sehr wichtig.«
»Das ist mir egal«, gab sie ebenso leise zurück. »Sie können mich nicht zwingen.«
»Niemand will Sie zwingen. Aber wir brauchen Ihre Aussage zur Klärung mehrerer Verbrechen.«
»Auch das ist mir egal«, erwiderte Mirjam und trat zwei Schritte zurück. »Ich habe mich bereits mit der Kommissarin unterhalten, obwohl mir das sehr schwerfiel, und ich bin zu weiteren Gesprächen nicht bereit … Besser gesagt: nichtin der Lage. Das wird Ihnen mein Therapeut gern bestätigen.«
Kommissar Schneider runzelte die Stirn. »Frau Lupak, im Moment geht es zunächst einmal darum, dass Sie geleugnet haben, in letzter Zeit Kontakt zu Herrn Beier gehabt zu haben. Wir wissen aber inzwischen, dass Sie am Montag miteinander telefoniert haben. Herr Beier steht uns seit heute früh Rede und Antwort, sein Freund Steffen Brandt ebenfalls.«
Mein Gott, dachte Mirjam, sie haben ihn erwischt! Sie spürte förmlich, wie ihre Knie sich in Gelee verwandelten. Wie absurd – wenn die Polizei sich damals bei der Aufklärung des Verbrechens an ihr so viel Mühe gegeben und die gleiche Sorgfalt an den Tag gelegt hätte wie bei den Nachforschungen zu dem Mord an Kai Richardt, wäre vieles gar nicht erst geschehen …
Sie wusste, dass der Vorwurf nicht ganz fair war. Sie war so traumatisiert gewesen, dass sie kaum vernünftige Hinweise hatte geben können, und ohne die war die beste Polizeiarbeit für die Katz.
Der Kommissar trat an ein Auto, das am Straßenrand in der zweiten Reihe parkte, und öffnete die hintere Tür.
»Ich muss meinem Chef Bescheid sagen«, sagte Mirjam.
»Das habe ich bereits getan. Und ich fahre Sie nachher auch zurück.«
Als sie im Kommissariat eintrafen, kam ihr die kleine dunkelhaarige Polizistin entgegen. Sie lächelte freundlich und begrüßte sie mit wachem Blick.
»Kommen Sie, wir suchen uns ein ruhiges Zimmer zum Reden«, sagte sie, als wären sie wie gute Bekannte zu einem netten Plausch verabredet.
Sie gingen einen kahlen Flur entlang, in dem es nach Putzmitteln und Kaffee roch. Durch die Glaswand konnte Mirjam in einem der Nebenzimmer Tim erkennen. Er saß auf einem Stuhl und starrte auf den Boden.
Mirjam spürte plötzlich, dass ihr Herz bis zum Hals schlug. Ich bin schuld, dachte sie. Ich habe ihn in diese Situation gebracht – nach all den Jahren und dem ganzen Kummer, für den Tim nicht das Geringste kann, soll ausgerechnet der Mann ins Gefängnis, der sie von ihrer größten Furcht befreit hatte. Das war nichts als eine schreiende Ungerechtigkeit!
Ihr Gaumen war trocken, als die Kommissarin eine Tür öffnete und sie bat, an einem Tisch in der Mitte des Raumes Platz zu nehmen. Kommissar Schneider kam kurz darauf nach und stellte ein Glas Wasser für sie bereit.
»Oder möchten Sie lieber einen Kaffee?«, fragte er.
Mirjam schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich habe nicht vor, so lange zu bleiben.« Und nach Kaffeekränzchen steht mir ganz und gar nicht der Sinn.
Dazu sagte Kommissarin Beccare nichts. Sie setzte ein Tonband in Gang und streckte ihren Rücken, als hätte sie zu lange am Schreibtisch gesessen. Die Frau trug Jeans und ein buntes Baumwollhemd und wirkte wie jemand, die nicht allzu lange still sitzen konnte. Eigentlich war sie ihr sympathisch …
Mirjam spürte, dass sie sich beruhigte, indem sie sich auf Nebensächlichkeiten konzentrierte. Sie könnte auch zählen wie bei der Atemtechnik. Entscheidend war, den Fokus nicht auf den Stressfaktor zu richten, aber dem Gehirn etwas zu tun zu geben.
»Frau Lupak, ich hätte Sie nicht ins Kommissariat gebeten, wenn es nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Ich kenne Ihre Situation …«
Mirjam schüttelte den Kopf. »Wohl kaum.«
»Gut, ich formuliere es anders: Ich bin der Meinung, mir ein Bild über Ihre Situation machen zu können«, korrigierte sie ihre Einschätzung sofort. »Sie haben Scheußliches erleben müssen. Daran zu rühren, fällt mir alles andere als leicht. Ist es Ihnen lieber, wenn wir eine Polizeipsychologin dazu bitten?«
Mirjam schüttelte sofort den Kopf. »Nein. Stellen Sie Ihre Fragen, und ich werde darauf antworten, soweit mir das möglich ist. Und ich tue das nur für Tim.«
»Warum?«
»Warum was?«
Die
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