Hahn, Nikola
Beck fiel ihm ins Wort. »Die Akte befindet sich bei
Polizeirat Franck, und dort wird sie bleiben, bis die Sache abgeschlossen ist.«
»Es
gibt Anhaltspunkte, die
»Ich
verbiete Ihnen, weitere Ermittlungen oder Überlegungen in dieser Sache
anzustellen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Der
Junge sah auf sein Pult und schwieg.
»Ich
will wissen, ob Sie mich verstanden haben!«
»Ja«
Beck
räusperte sich. »Ich weiß, daß Sie Herrn Biddling sehr geschätzt haben, aber es
hilft nichts, die Wahrheit zu leugnen, Junge.« Als Paul Heusohn nichts sagte,
fügte er hinzu: »Polizeirat Franck hat mir eben Biddlings Abschiedsbrief
gezeigt.«
Paul
Heusohn fuhr herum. »Das ist... Dürfte ich ihn sehen? Bitte, Herr Kommissar.«
Beck
schüttelte den Kopf. »Nein, Heusohn. Und kein Wort darüber zu irgendwem!«
Es
klopfte. Ein Polizeidiener kam mit einem blaßblauen Umschlag herein. »Zu
Händen des ermittelnden Beamten in Sachen Ableben des Kriminalkommissars
Biddling«, las er vor. »Das sind Sie, oder?«
Beck
riß den Umschlag auf und überflog das Schreiben. Paul Heusohn sah ihn neugierig
an. »Darf ich fragen, was
»Ich
habe Ihnen gerade gesagt, daß Sie diese Sache nichts mehr angeht. Sollte es mir
übrigens noch mal einfallen, Sie zum Essen einzuladen, möchte ich bitte nicht
beleidigt werden.«
»Es tut
mir leid, Herr Kommissar.«
Beck
steckte den Brief ein. »Ich muß noch mal zu Polizeirat Franck. Lesen Sie derweil
die Akte, die ich Ihnen hingelegt habe. Wenn ich wiederkomme, will ich wissen,
was Sie von dem Zwischenbericht des Kollegen halten.«
Er
hatte das Büro kaum verlassen, als Laura Rothe hereinkam. »Ich müßte kurz
unter vier Augen mit Ihnen sprechen, Paul.«
»Es ist
wegen meiner Mutter, nicht wahr?«
Laura
nickte. »Die Gestellung der Pflegerin war eine vorübergehende Hilfsmaßnahme.
Man erwartet im Armenamt von mir, daß ich sage, wie es weitergehen soll, wenn
sich der Gesundheitszustand Ihrer Mutter nicht bessert.«
»Aber
sie kann schon jeden Tag ein bißchen aufstehen, und ich tue alles, damit
»Das
ist es ja gerade, Paul. Sie können nicht rund um die Uhr arbeiten.«
»Das
macht mir nichts aus, Fräulein Rothe!« Seine Stimme wurde leise. »Bitte sagen
Sie dem Amt, daß wir zurechtkommen, daß ich für meine Geschwister ordentlich
sorge. Bitte.«
Laura
legte ihm die Hand auf den Arm. »Was glauben Sie denn, wie lange Sie das
durchhalten? Sie müssen auch ein bißchen an sich denken.«
»Mir
geht es gut, wirklich. Aber wenn meine Geschwister in die Kinderherberge müßten
oder zu irgendwelchen Leuten, die
sie gar
nicht kennen, die sie behandeln wie... Bitte, tun Sie ihnen das nicht an!«
Laura sah
die Verzweiflung in dem jungen Gesicht, und sie nickte. Obwohl sie wußte, daß
sie ihm nicht würde helfen können.
Am Tag
der Beerdigung regnete es. Heiner Braun kam allein, Maria war über Georg
Biddlings Aufzug pikiert, Rudolf Könitz beleidigt und David betrunken. Victoria
interessierte es nicht. Pfarrer Battenberg sprach eine Andacht. Seine Worte
klangen fremd und fern wie die Menschen um sie herum fremd und fern waren. Richard
Friedrich Biddling, zweiundfünfzig Jahre alt. Hermann Richard Lichtenstein,
zweiundfünfzig Jahre alt. War das ihre Angst gewesen? Der Blick in einen
Spiegel? Die Posaunen spielten einen letzten Gruß. Statt Anton Schick weinte
Louise Kubier. Der Vertreter des Polizeipräsidenten legte einen Kranz nieder.
Victoria hielt sich an Floras Hand fest. Plötzlich sah sie Richard in dem
düsteren Hof stehen, damals, als sie glaubte, sie sähe ihn nie wieder. Erfüllen
Sie mir eine letzte Bitte, Herr Kommissar? Wenn Sie jemals eine Tochter haben
werden: Erzählen Sie ihr vom Leben, lassen Sie sie frei sein. Seine Antwort
hatte rauh geklungen und traurig. Ich verspreche es. Leben Sie wohl,
Fräulein Könitz. Victoria suchte Vickis Blick, aber sie sah an ihr vorbei.
Die Bäume trugen graue Schleier. Als die erste Rose dem Sarg folgte, fiel der
Himmel auf sie herab.
Zwei
Tage später bestellte Polizeirat Franck Victoria ins Polizeipräsidium. Es war
das erste Mal, daß sie den Vorgesetzten ihres Mannes traf. Er sprach sein
Bedauern über Richards unerwarteten Tod aus, übergab ihr einen Karton mit der
persönlichen Habe und erklärte, daß die Untersuchungen abgeschlossen seien.
»Kommissar Beck hat mir das Ermittlungsergebnis vorgelegt. Ein
Fremdverschulden am Tode Ihres Mannes kann ausgeschlossen werden.«
»Er hat
sich nicht umgebracht«, sagte
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