Hahn, Nikola
Idee.
Kapitel
27
Abendblatt
Freitag,
19.August 1904
Frankfurter
Zeitung und Handelsblatt
Gross
und Stafforst. Über die unmittelbar
bevorstehende Hinrichtung der beiden Raubmörder, die in der Strafanstalt
Preungesheim die Entscheidung des Königs über ihr Schicksal erwarten, gehen seit
einigen Tagen allerhand Nachrichten durch die Zeitungen. Dem gegenüber meldet
ein Berichterstatter, daß alle diese Mitteilungen auf bloßen Vermutungen
beruhen. Bis jetzt ist bei der Staatsanwaltschaft keinerlei Nachricht eingelaufen, ob der König von seinem
Begnadigungsrecht
Gebrauch machen will oder nicht. Man erwartet auch an maßgebender Stelle eine
Entscheidung nicht vor der nächsten Woche; das läßt sich aus dem Umstand
schließen, daß der Erste Staatsanwalt sich zur Zeit noch in Urlaub befindet.
Knabe
16 Mon.
alt, blond, blauäugig, gesund, als eig. abzugeben., Verg. erw. Off. a. d. Exp.
ABU. 30696
G uten Abend«, sagte Vicki Biddling lächelnd, als Martin Heynel ihr
die Tür öffnete.
Überrascht
bat er sie in den Salon. »Seit wann bist du zurück?«
Sie sah
auf ihre Uhr. »Seit einer Dreiviertelstunde. Ich bin vom Bahnhof gleich
hergefahren, um es dir zu sagen!«
»Na,
was?«
Sie
nahm seine Hände. »Ich liebe dich.«
»Ich
liebe dich auch, kleine Vicki.« Er küßte sie. »Bleibst du länger?«
Sie
nickte. »Dein Besuch war ja erfolgreich.«
»Was
soll das denn heißen?«
Sie
zwinkerte ihm zu. »Daß wir heiraten sollten, Liebster.«
Mit
gemischten Gefühlen kam Laura abends ins Rapunzelgäßchen. Victoria und Heiner saßen
wie üblich bei einem Kaffee in der Küche.
»Kommt
Paul nicht?« fragte Heiner.
Sie
schüttelte den Kopf. »Daß seine Bemühungen so gänzlich fehlgeschlagen sind,
macht ihm zu schaffen. Ganz abgesehen davon, daß er jetzt bei Martin noch
weniger zu lachen hat als vorher.« Sie setzte sich. »Nichtsdestotrotz bin ich
überzeugt, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Ich habe den halben Tag in der
Registratur verbracht und Kommissar Becks Akten über den Kinderhandel studiert.
Die Ermittlungen zeigen, daß diese Seelenverkäufer mitnehmen, was sie kriegen
können. Und da es uns nicht gelungen ist, eine aussagebereite Schwangere aufzutreiben,
versuchen wir es eben auf andere Weise.« Sie erzählte, was sie sich ausgedacht
hatte.
Heiner
sah sie skeptisch an. »Ich weiß nicht, ob wir ihr das zumuten dürfen.«
»Fragen
wird ja erlaubt sein. Immerhin hat sie Kommissar Biddling einiges zu
verdanken.«
»Ich
finde die Idee gut«, sagte Victoria. »Vielleicht bekommen wir so endlich einen
Beweis. Es wäre mir schon wegen Vicki wichtig.«
Laura
schluckte. »Es gäbe eine zweite Möglichkeit. Ich weiß selbst nicht warum, aber
Martin versucht immer noch, mit mir Kontakt aufzunehmen. Vielleicht kann ich
ihn in einem Gespräch unter vier Augen zu einem Geständnis bewegen.«
»Er
würde es hinterher abstreiten«, wandte Heiner ein.
»In der
Dachschräge in meinem Zimmer könnte sich ein Zeuge verbergen. Aber es müßte
jemand sein, dessen Wort über alle Zweifel erhaben ist.«
»Am
besten ein Beamter aus dem Präsidium«, schlug Victoria vor.
»Vergessen
Sie's«, sagte Laura. »Kommissar Beck wird keinen Finger rühren, auf die
Unterstützung von Polizeirat Franck brauchen wir erst recht nicht zu hoffen,
und eine Aussage von Paul würde nicht viel helfen.«
Sie
hörten die Türglocke. Heiner ging hinaus und kam mit Vicki Biddling wieder.
Victoria wurde blaß. »Wo kommt du denn her?«
Sie
lächelte kühl. »Ich wollte mich überzeugen, ob Martin recht hat. Ich sehe: Er
hat. Was habe ich dir getan, daß du es mir auf diese Art heimzahlst?«
»Was
meinst du? Woher weißt du überhaupt...?«
«... daß ihr gemeinschaftlich versucht, meinen Bräutigam in den Schmutz
zu ziehen? Daß du nicht einmal davor zurückschreckst, ihm Vaters Tod
anzulasten, damit du dich weniger schuldig fühlen mußt? Martin hat es mir
vorhin gesagt.«
Laura
sah, wie Victoria um Fassung rang. Sie tat ihr leid.
»Bitte
setzen Sie sich«, sagte Heiner. »Ich erkläre Ihnen gern, warum wir uns hier
treffen.«
»Lügen!«
rief sie. »Nichts als Lügen! Nur, weil sie es nicht erträgt, daß ich glücklich
bin!«
»Sind
Sie das denn?« fragte Heiner freundlich.
»Sagen
Sie, was Sie zu sagen haben.«
Ihr
Gesicht war starr, als er geendet hatte. »Ich glaube kein Wort davon. Kein einziges!«
»Würden
Sie es glauben, wenn Sie es aus seinem eigenen Mund
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