Hahn, Nikola
und las. Als Vicki hereinkam, stand er lächelnd
auf. »Ich freue mich, daß Sie wieder in Frankfurt sind, Fräulein Vicki.
Möchten Sie etwas trinken?« »Nein, danke. Ich beabsichtige nicht, lange zu
bleiben.«
Er wies
auf einen Korbstuhl. »Womit kann ich Ihnen denn dienen?«
Vicki wunderte
sich, daß sie es schaffte, so ruhig zu sein. »Ich halte nichts davon, lange um
die Sache herumzureden. Ich weiß, daß ich Ihnen als Partie nicht unwillkommen
wäre, Herr Hortacker. Und ich bin hier, Ihnen zu sagen, daß meine Antwort Ja
lauten würde.« Bei allem Schmerz amüsierte es sie, innerhalb einer Stunde zum
zweiten Mal einen Mann fassungslos zu sehen. »Sollten Sie interessiert sein,
besprechen Sie bitte alles weitere mit meiner Mutter und meinem Großvater.«
»Dürfte
ich fragen, was Sie zu diesem Schritt veranlaßt?«
Sie
musterte ihn kühl. »Mein Großvater würde sich freuen, Mutter würde sich freuen,
und mein Onkel bestimmt auch.«
»Und
was ist mit Ihnen, Vicki?«
»Als
wenn es darauf überhaupt ankäme!«
Er sah
sie freundlich an. »Sicher kommt es darauf an. Sie kennen meine Gefühle für
Sie, und ich wäre der glücklichste Mensch, wenn...«
»Die
Entscheidung liegt bei Ihnen. Ich bitte nur, daß Sie sich nicht allzulange Zeit
damit lassen. Ich beabsichtige, baldmöglichst einen eigenen Hausstand zu
gründen. Auf Wiedersehen.«
Der
Wagen stand vor dem Portal. Das Pferd scharrte mit den Hufen. »Nach Hause,
gnädiges Fräulein?« fragte der Kutscher. »Nein. Untermainkai 18«, sagte Vicki
und stieg ein.
Kapitel
28
Drittes
Morgenblatt
Sonntag,
21.August 1904
Frankfurter
Zeitung und Handelsblatt
Moderner
Menschenhandel. In den Zeitungen kann man
täglich Annoncen etwa folgender Art finden: »Kind wird gegen einmaligen
Erziehungsbeitrag als eigen angenommen« oder: »Gesundes Kind wird als eigen
abgegeben.« Es birgt sich hinter diesen kurzen Worten ein ganzes
Menschenschicksal, das Elend eines seinen Erzeugern unwillkommenen Kindes.
Der
»Erziehungsbeitrag« ist fast ohne Ausnahme nichts anderes als der Kaufpreis
für ein Menschenkind.
Meistens
suchen diejenigen, die ein Kind annehmen wollen, nicht Kindesliebe und
Elternfreude, sondern einen pekuniären Vorteil. Die leibliche Mutter kann noch
von Glück sagen, wenn sie ihr Kind nach einiger Zeit unversehrt zurückerhält,
wenn sie weiter nichts verloren hat als einige hundert Mark. Diese Mütter gehen
bei der Abgabe ihres Kindes meist mit sträflichem Leichtsinn vor.
Die
vorstehenden Zeilen sollen eine Warnung sein für alle diejenigen, die es angeht,
namentlich aber für die Mütter der Kinder. Diese sollten es nie unterlassen,
sich vorher Rats zu erholen! In Frankfurt haben wir sogar eine Institution, die
sich besonders mit der Fürsorge für uneheliche Kinder beschäftigt, die
Centrale für private Fürsorge. Sie will ein Beistand der armen, verlassenen
Kinder sein, die das Unglück haben, ohne Vater geboren zu werden.
Aus der
Praxis der Centrale rühren denn auch die obigen Schilderungen her; einige
besonders krasse Fälle der letzten Zeit gaben den Anlaß zu diesem Warnungsruf.
S ie hatten das nächste Treffen auf Sonntag nachmittag festgesetzt,
und Victoria war die erste, die kam. Heiner Braun bat sie in die Stube. »Wie
geht es Vicki?« fragte er.
»Sobald
ich versuche, mit ihr über die Sache zu sprechen, geht sie aus dem Zimmer.«
»Das
tut mir leid. Fräulein Rothe hat sicher nicht gewollt, daß es so endet.«
»Laura
kann nichts dafür. Im Grunde genommen bin ich ihr sogar dankbar. Wenigstens
wird Vicki Martin Heynel nicht heiraten. Heute morgen hat Andreas Hortacker um
ihre Hand angehalten. Sie hat Ja gesagt.«
»Wäre
es nicht besser, sie würde noch ein bißchen damit warten?«
Victoria
zuckte mit den Schultern. »Sie läßt auch darüber nicht mit sich reden. Ihr einziges
Zugeständnis ist, daß sie bei uns wohnen bleibt, bis Andreas ein passendes Haus
gefunden hat.« Sie sah zum Fenster. »Sie will mich treffen und verletzt sich
nur selbst. Und Andreas dazu. Ich kann ihm doch nicht sagen, daß er sie nicht
heiraten soll. Sie ist meine Tochter!«
»Meinen
Sie, es hilft, wenn ich mit ihr rede?« fragte Heiner.
Sie
schüttelte den Kopf. »Für sie sind Sie genauso schuldig wie ich. Wie alle, die
die Wahrheit über ihre Mutter wußten und geschwiegen haben.«
»Und
was sagt Andreas?«
»Er
glaubt, daß er ihr nur genügend Zeit geben muß.«
»Bei
aller Sorge müssen Sie akzeptieren, daß die beiden
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