Hahn, Nikola
Stock,
erstes Zimmer links, und heißt Lisa Zeus, die Kontoristin
»So
genau wollte ich es auch wieder nicht wissen.«
»Sie waren
lange nicht mehr hier.«
»Es hat
mir genügt, Sie täglich zehn Stunden im Präsidium zu ertragen. Wann ist Anna
Frick eingezogen?«
»Vor
sechs Monaten. Warum interessiert Sie das? Hat sie etwas mit der Mordsache
Lichtenstein zu tun?«
Richard
sah Laura an. »Auf eine Antwort stellt er zwei Fragen!«
Heiner
grinste. »Neugier ist die erste Tugend eines klugen Polizeibeamten.«
»Auf
Disziplin und Gehorsam kann er dafür getrost verzichten.«
»Sollte
es mir tatsächlich gelungen sein, Ihnen das beizubringen, Herr Kommissar? Wenn
Sie mir verraten, was Fräulein Frick mit Lichtenstein zu tun hat, verrate ich
Ihnen, in welchem Stock sie wohnt.«
»Soeben
erleben Sie Brauns zweite Tugend«, sagte Richard zu Laura. »Vorgesetzte
nötigen.« Er berichtete von Dr. Popps Feststellungen am Tatort und dem Eintrag
in Lichtensteins Kalender. »Es gibt in Frankfurt zwei unverheiratete Frauen
namens
Frick;
die erste habe ich auf dem Herweg überprüft. Sie hat ein Alibi.«
»Es war
ein verregneter Septembernachmittag«, sagte Heiner. »Sie stand völlig durchnäßt
vor der Tür und bat um Logis. Das einzige Gepäck, das sie dabeihatte, war ein
kleiner Koffer. Bis heute weiß ich nicht, woher sie kam. Sie spricht nicht
viel.«
»Und
wenn sie den Mund doch auftut, dann nur, um sich über irgendwas oder irgendwen
aufzuregen«, sagte Laura.
»Ich
glaube, es fällt ihr schwer, andere Menschen glücklich zu sehen«, sagte Heiner.
»Sie
ist eine biestige alte Jungfer«, sagte Laura.
»Wissen
Sie, ob sie Angehörige hat?« fragte Richard.
Heiner
schüttelte den Kopf. »Sie geht nicht aus und empfängt keinen Besuch. Ihre
Miete entrichtet sie pünktlich, Vergnügungen scheint sie nicht zu kennen.
Persönlichen Gesprächen weicht sie aus. Das einzige, was ich Ihnen über sie
sagen kann, ist, daß sie sonntags nach dem Kirchgang längere Spaziergänge
unternimmt und im Warenhaus Schmonker angestellt ist.«
»Solange
es nicht das Warenhaus R. Könitz ist«, sagte Richard sarkastisch. »Erhält sie
Post?«
»Selten.
Der letzte Brief kam, soweit ich mich erinnern kann, vor etwa zwei Wochen. Ohne
Absenderangabe. Abgestempelt war er in Offenbach.«
Richard
stand auf. »Mal sehen, was sie mir zu erzählen hat.«
Heiner
räumte die leeren Tassen weg. »Dritter Stock. Gegenüber von Ihrem ehemaligen
Zimmer.«
Richard
hatte ein mulmiges Gefühl, als er die Treppe hochging. Seit Jahren war er nicht
mehr in den oberen Stockwerken gewesen. Das Knarren der Stufen, das flackernde
Licht an der Wand waren vertraut und fremd zugleich. Er hatte gern hier gewohnt.
Bis ihm das Haus zur Falle geworden war.
Die
Bilder überfielen ihn, als er den dritten Stock erreichte: flatternde Tauben,
die Luke, die Esse, das rutschige Dach. Die Treppe fing an sich zu drehen;
Richard hielt sich am Geländer
fest.
Ein stechender Schmerz hinter seiner Stirn ließ ihn die Augen schließen. Jahr
um Jahr hatte er gegen seine Träume gekämpft, und als er glaubte, sie besiegt
zu haben, kehrten sie zurück. Es dauerte lange, bis er sich gefaßt hatte. Er
fuhr sich übers Gesicht und klopfte an Anna Fricks Tür. »Ich muß Sie dringend
sprechen, gnädiges Fräulein!«
Sie
öffnete. »Bitte?« Ihre Stimme, ihr Gesicht, selbst ihr Kleid, strömten
Ablehnung aus.
Richard
stellte sich vor und zeigte seine Marke. »Ich führe die Ermittlungen in der
Sache Lichtenstein und habe einige Fragen an Sie. Darf ich hereinkommen?«
Sie
trat wortlos beiseite. In ihren Augen zeigte sich Angst.
»Gibt
es einen besonderen Grund, warum Herr Biddling das Warenhaus Könitz nicht
schätzt?« fragte Laura. Sie hatte sich das Frühstück in die Küche geholt und
löffelte ihr Ei.
»Es
gehört seinem Schwiegervater. Das heißt, offiziell gehört es David Könitz, dem
Bruder von Kommissar Biddlings Frau. Genau wie zwei Dutzend Filialen und
weitere Häuser in Berlin, Hamburg und Köln. Aber wie der Buchstabe R im Namen
schon vermuten läßt, hat Könitz junior nicht viel zu melden.«
»Und
das mißfällt dem Kommissar?«
»Ihm
mißfällt, daß er in eine allzu wohlhabende Familie eingeheiratet hat«, sagte
Heiner schmunzeln.
Bevor
Laura die nächste Frage stellen konnte, kamen zwei Frauen herein, wie sich
herausstellte, die Näherin und die Kontoristin. Sie begrüßten Laura und
fragten, ob Heiner und Helena mit zum Gottesdienst gingen. Er
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