Hahn, Nikola
Lange Franz genannt. Wenn Sie möchten, können wir
nachher einen Spaziergang machen, und ich zeige Ihnen alles von unten.«
»Gern.
Sagen Sie, hat Kommissar Biddling wirklich in meinem Zimmer gewohnt?«
»Er kam
aus Berlin und suchte eine Unterkunft. Genau wie Sie.«
»Lassen
Sie mich raten: Sie haben ihn zufällig in einem Präsidiumsflur getroffen?«
»Nein.
Als er im Frühjahr 1882 hier einzog, wohnte ich noch in der Rotekreuzgasse.«
Auf Lauras fragenden Blick fügte er hinzu: »Das Haus gehört Helena. Wir haben
1883 geheiratet.«
»Dann
haben Sie Ihre Frau durch Kommissar Biddling kennengelernt?«
»Das
kann man so sagen, ja. Allerdings dauerte es ein Weilchen, bis wir uns
aneinander gewöhnt hatten.« Er grinste. »Ich meine natürlich den Kommissar,
nicht meine Frau.«
»Darf
man fragen, warum?«
»Nun,
er ist Preuße, und ich bin Frankfurter.«
Lachend
gingen sie ins Haus zurück.
Offenbar
hatte Richard Anna Frick beim Lesen gestört. Auf einem Tisch in der Mitte des
Zimmers lagen eine Brille und eine aufgeschlagene Bibel. Am Fenster reckte sich
eine magere Grünpflanze dem Licht entgegen, auf der Waschkommode sah Richard
eine Seifendose, Haarnadeln und eine Bürste liegen. Ansonsten wies nichts
darauf hin, daß in diesem Zimmer jemand wohnte. Anna Frick bedeutete ihm, sich
zu setzen. Er holte sein Notizbuch und einen Bleistift heraus. »Kennen Sie
Hermann Lichtenstein, Fräulein Frick?«
»Ich
weiß, daß es ein Pianofortegeschäft dieses Namens auf der Zeil gibt.«
»Waren
Sie schon einmal dort?«
»Ich? Nein.«
»Hermann
Lichtenstein ist vorgestern ermordet worden. Das werden Sie wissen, nehme ich
an.«
Sie sah
aus, als überlege sie, ob es besser wäre, es zu wissen oder nicht zu wissen.
»Ich mag davon gehört haben, ja.«
»Gibt
es einen Grund, warum Sie mir derart ausweichend antworten?«
»Nein.«
»Sie
kannten Hermann Lichtenstein also nicht.«
Ȁh...
nein.«
Richard
sah ihr direkt ins Gesicht. »Wir haben Aufzeichnungen, nach denen er sich am
Freitag vor einer Woche mit einer Frau namens Frick getroffen hat.«
»Ich
war nicht dort.«
»Wo?«
»In
Lichtensteins Geschäft.«
»Das
habe ich auch nicht behauptet, Fräulein Frick. Ich sagte lediglich, daß er sich
mit dieser Frau getroffen hat, ohne einen Ort zu erwähnen.«
Sie
knetete ihre Hände und schwieg.
»Wo
waren Sie vorgestern?«
»Auf
der Arbeit.«
»Wie
lange?«
»Von
morgens acht bis abends acht.«
»Und am
Freitag davor?«
»War
ich auch auf der Arbeit.«
»Wo
arbeiten Sie?«
»Ich
bin im Warenhaus Schmonker angestellt.«
»Als
Verkäuferin?«
»Im
Büro.«
»Als
was?«
»Schreibgehilfin.«
»Seit
wann wohnen Sie in Frankfurt?«
»Seit
dem 8. September 1903- Warum?«
»Wo
lebten Sie vorher?«
»Warum
wollen Sie das wissen?«
»Bitte
beantworten Sie meine Frage.«
»Ich
bin in Mainz geboren.«
»Ich
fragte, wo Sie wohnten, bevor Sie nach Frankfurt kamen.«
»In
Offenbach.«
»Wo
dort?«
»Glockengasse
29«
»Haben
Sie Familie?«
»Nein!«
»Sie
sind nicht verheiratet?«
»Würde
ich dann in diesem Zimmer leben?«
Richard
klappte sein Notizbuch zu und stand auf. »Sie werden morgen eine Vorladung ins
Präsidium erhalten.«
»Aber
warum denn das?«
»Weil
Sie mich angelogen haben, gnädiges Fräulein.«
»Ich
kenne Herrn Lichtenstein nicht!«
»Sie
hören von mir. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.«
Heiner
und Laura kamen vom Dach herunter, als Richard Anna Fricks Zimmer verließ.
»Hatten Sie Erfolg?« fragte Heiner.
»Wie
man es nimmt. Was treiben Sie mit Fräulein Rothe auf dem Dachboden?«
»Ich
habe ihr mein Belvederche gezeigt, das Sie sich seit Jahren zu betreten
weigern.«
»Da ich
Grund zu der Annahme habe, daß dieses Belvederche ähnlich konstruiert
ist wie das in Ihrem vorherigen Domizil, verzichte ich lieber auf eine
Besichtigung.«
»Die
Aussicht ist atemberaubend«, sagte Laura.
»Ich
weiß.«
Heiner schmunzelte.
»Kommissar Biddling hegt eine tiefe Abneigung gegen Frankfurter
Altstadtdächer.«
»Keine
zehn Gäule bringen mich dort hinauf!«
»Warum
denn?« fragte Laura, aber die Männer blieben ihr die Antwort schuldig.
»Was
hat Anna Frick gesagt?« fragte Heiner, als sie wieder in der Küche saßen.
»Sie
bestreitet, Lichtenstein zu kennen, aber ich bin sicher, daß sie lügt.«
»Eine
Gewalttat traue ich ihr nicht zu«, sagte Heiner.
Richard
zuckte die Schultern. »Morgen werde ich sie daktyloskopieren lassen. Dann wird
sich ja herausstellen,
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