HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi
Am Fenster blieb Udo stehen und blickte hinunter auf die Straße. In Richtung Löhr-Center stockte der Verkehr auf dem Moselring.
„Ich wusste, dass du mich nicht hängen lässt“, freute sich Kaltenbach am anderen Ende der Leitung. Offenbar hatte er nicht verstanden, was Udo ihm geantwortet hatte. Oder er wollte den Freund einfach nicht verstehen. Der Verdacht erhärtete sich, denn bevor Udo reagieren konnte, vernahm er ein monotones Tuten im Hörer. Kaltenbach hatte ohne ein weiteres Wort aufgelegt.
„So ein Arschloch“, fluchte Udo und warf das Handy auf die Schreibunterlage, wo es gegen die Wasserflasche schlug und ein Klirren erzeugte. Udo riss sich vom Blick aus dem Fenster los und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück, wo er nach dem Hörer des Diensttelefons griff. Er zögerte, sank auf den Stuhl und aß zunächst den Apfel auf, bevor er den Appelkrotz mit einem schwungvollen Wurf in den Papierkorb mit der Aufschrift „Nur für Papier“ beförderte. Danach wählte er die Nummer der Zentralen Kriminalinspektion in Trier.
Enkirch, 11.55 Uhr
Kaltenbach hatte das Telefonat mit Udo schnell beendet, weil jemand in der Leitung anklopfte. Er blickte auf die Nummer im Display und nahm das Gespräch an. Gut, dass sie gestern noch ihre Handynummern ausgetauscht hatten. Solange sie sich keine falschen Hoffnungen machte, war Bernd für alles offen.
„Hallo Bettina, es hat einen weiteren Toten gegeben.“
„Woher … woher weißt du davon?“ Ihre Stimme klang belegt.
„Das pfeifen die Spatzen von den Dächern“, schmunzelte Kaltenbach, dann wurde er ernst. „Rufst du deshalb an?“ Als sie schwieg, fuhr er fort: „Weißt du schon Näheres?“
„Der Tote ist Dirk Immich aus Starkenburg, ich kannte ihn seit der Kindheit.“
„Und wahrscheinlich ist er Umweltschützer und der Hahn ist ihm ein Dorn im Auge.“
„Woher weißt du, dass er Mitglied bei den Grünen ist? Dirk arbeitete für die Verbandsgemeinde und war für die Gewässerproben aus dem Groß- und dem Ahringsbach zuständig.“
„Also jemand, der den Betreibern des Hahn gefährlich werden konnte“, überlegte Kaltenbach. „Zumal er offensichtlich politisch engagiert war und einige Leute kannte, die den Betreibern am Hahn das Leben schwer machen können.“
Bettina stimmte ihm zu. „Das war kein Unglück, jede Wette, Bernd. So ein Container fliegt doch nicht so einfach in die Luft!“
„Das seh‘ ich auch so. Wie ich Enkirch kenne, steht das ganze Dorf Kopf?“
„Natürlich. Es ist der zweite Tote in kürzester Zeit, der nicht an Altersschwäche stirbt. Die Kripo Wittlich ist vor Ort und wartet auf die Kollegen aus Trier.“
„Also Mord?“
„Keine Ahnung, aber wenn ich schätzen würde, dann sieht es danach aus. Bernd, hier ist jemand auf einem schrecklichen Rachefeldzug.“
„Ehrlich gesagt fürchte ich das auch. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein großes Unternehmen, das von zwei Landesregierungen aufrechtgehalten wird, Auftragskiller auf alle Menschen ansetzt, die am Image des Hahn kratzen. Das ist mir eine Nummer zu hoch.“
„Was wollen Sie denn hier?“, wurde Kaltenbach von einem hünenhaften Glatzkopf in Cargohosen und T-Shirt angeblafft, als er sich mit der Kamera an der Schulter dem ausgebrannten Container näherte. Den Tatort hatte man weit abgesperrt; uniformierte Polizisten sorgten dafür, dass sich niemand unbefugten Zutritt verschaffte. Das blauweiß-schraffierte Absperrband flatterte im Wind, der vom Fluss herüberwehte. Zahlreiche Schaulustige hatten sich eingefunden und waren in teils hitzige Diskussionen verwickelt. Einige fotografierten die verkohlten Überreste des Bürocontainers mit ihren Handykameras, ein braun gebrannter Rentner in T-Shirt, Shorts und Badelatschen filmte die Szenerie mit einem kleinen Camcorder. Wahrscheinlich würde der Clip innerhalb der nächsten Stunde auf YouTube und Co. zu sehen sein. Alte Weiber standen beisammen und führten erregte Gespräche. Dafür hatten sie sogar die Füße aus der Waschschüssel genommen und ihre Pause im Schatten des Wohnmobils verlassen, stellte Kaltenbach mit einem Anflug von Ironie fest.
„Hallo, ich rede mit Ihnen“, riss ihn der Stiernacken aus den Gedanken. Er bohrte seinen Zeigefinger in Kaltenbachs Schulter. „Bleiben Sie stehen, wenn ich mit Ihnen rede! Also – was haben Sie vor und wer sind Sie?“
Kaltenbach blickte ihn unverwandt an. Geschickt drehte er die Schulter aus dem Bohrbereich des Zeigefingers. „Wer
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