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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
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stand.
    Hinter dem langen Tisch saß, in einem bequemen Lehnstuhl, ein älterer Herr, der ihm freundlich entgegenblickte. Er war nicht besonders groß, trug einen geblümten Hausrock, der ganz der neuesten Pariser Mode entsprach, und sein Kopf wurde von einem schwarzen Samtkäppchen bedeckt, unter dem sich silberne Haarlocken hervorstahlen. Sein freundliches, für sein Alter ungewöhnlich jung wirkendes Gesicht war glatt rasiert, er hatte weder einen Schnauz- noch einen Backenbart. Auch fiel Sébastien sofort das Funkeln seiner sehr dunklen blauen Augen auf, das man allerdings nur erkannte, wenn er nicht gerade an seiner langen, bemalten Porzellanpfeife zog und kleine Rauchwölkchen ausstieß.
    »Aber bitte, setzen Sie sich doch, Monsieur Colbert!« Samuel deutete auf den Stuhl an der gegenüberliegenden Seite des Tisches, während Mélanie am Schreibtisch Platz nahm und zu einer goldenen Feder griff.
    Sébastien verbeugte sich und folgte der Aufforderung.
    Eine Weile betrachtete Samuel den jungen Mann, schien ihn mit Blicken abzutasten, um sich ein Bild von ihm zu machen. »Nun?« fragte er schließlich. »Was können wir für Sie tun?«
    »Es geht um Schmerzen in der Brust, dazu kommt ein hartnäckiger Husten. Allerdings nur nachts im Liegen. Aber gerade dann ist es unangenehm. Es gibt Nächte, in denen ich kaum zur Ruhe komme.«
    »Husten Sie Schleim aus?« fragte Mélanie.
    Sébastien sah zu ihr hinüber. Sie hatte die Feder in Tinte getaucht und schrieb etwas in das Buch, das vor ihr lag. Offensichtlich notierte sie alles, was hier gesprochen wurde. Das verunsicherte ihn, und er räusperte sich.
    »Schleim – nun ja, natürlich«, sagte er zu Hahnemann.
    »Und wie sieht er aus?« fragte Mélanie.
    Sébastien sah sie erstaunt an. »Wie meinen Sie das?«
    »Nun, ist er grün, weiß, eher durchsichtig?«
    Mit solchen Fragen hatte er nicht gerechnet, auch nicht damit, daß er von Madame Hahnemann und nicht von Dr. Hahnemann selbst befragt wurde.
    »Durchsichtig«, antwortete er verwirrt.
    Die Feder kratzte übers Papier, das Geräusch kam Sébastien plötzlich vor wie das Zischeln einer Schlange.
    Schweiß? Besserung durch Wärme? Verschlimmerung in den Morgenstunden? Die Fragen, die man an ihn stellte, schienen ihm immer absurder zu werden. Er gab Antwort, so gut er konnte, und weil er nicht darauf vorbereitet gewesen war, hielt er sich an das, was er tatsächlich von sich kannte.
    Als Madame Hahnemanns Wissensdurst endlich gestillt zu sein schien, zeigte die Uhr auf dem Kaminsims bereits 12 Uhr 30 an – ein gutes Stück mehr als eine Stunde hatte er also hier gesessen und Auskunft über seinen körperlichen Zustand und seine geheimsten Gedanken erteilt. Das alles schien ihm irgendwie lächerlich! Andererseits fühlte er sich plötzlich von einem ganz seltsamen wohligen Gefühl getragen – einem Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit.
    Eine Weile sahen sich Madame und Monsieur Hahnemann an.
    »Wir geben Sulfur in der für den Anfang üblichen Potenz«, sagte sie plötzlich, worauf er nickte und meinte: »Ja, liebes Kind.«
    »Ich denke, wir werden auch in Folge dabei bleiben müssen.«
    »Ja, so sehe ich das auch. Aber warten wir ab.« Hahnemann nickte seiner Frau zu.
    Sie stand auf, machte sich eine Weile an einem Schrank zu schaffen, kam dann mit einem Glas zurück, das halb mit Wasser gefüllt war, und reichte Sébastien einen Löffel.
    »Bitte, nehmen Sie von der Medizin einen Löffel voll, Monsieur, und halten Sie die Flüssigkeit einige Augenblicke im Mund.«
    Als er zögerte, nickte sie ihm lächelnd zu. »Keine Angst, es tut nicht weh – und es ist auch nicht giftig. Möglicherweise kann es sein, daß sich Ihre Atembeschwerden in nächster Zeit etwas verschlimmern. Wenn es größere Probleme geben sollte, zögern Sie nicht, zu kommen. Ansonsten sehen wir uns am Freitag wieder. Es ist wichtig, daß Sie regelmäßig vorsprechen und uns Bericht erstatten.«
    Als Sébastien kurze Zeit danach in seiner Kutsche an der Seine entlangfuhr und über die Ereignisse nachdachte, fiel ihm dreierlei auf: Man hatte erkannt, daß er gelegentlich an Asthma litt, obwohl er von Husten und Schmerzen in der Brust gesprochen hatte und glaubte, keinen Hinweis auf seine tatsächliche Erkrankung gegeben zu haben. Er wurde behandelt, obwohl er nicht vorgehabt hatte, sich behandeln zu lassen. Und Madame Hahnemann war ihm zwar höflich begegnet, aber es war ihm nicht gelungen, ihr in irgendeiner Weise näherzukommen, obwohl er

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