Hahnemanns Frau
Glück gehabt und Eugène schnell gefunden. Als Mélanie, Samuel und die Männer mit dem Verletzten zum vereinbarten Treffpunkt kamen, wartete die Kutsche bereits. Vorsichtig setzte man Sébastien in die Karosse. Charles und Samuel nahmen neben ihm Platz, um ihn zu stützen.
»Fahren Sie vorsichtig«, sagte Mélanie zum Kutscher und schloß die Tür hinter sich.
Zu Hause angekommen, ließ sie von Rose das Gästezimmer herrichten. Man bettete Sébastien in die Kissen. Vorsichtig zog Rose ihn aus, während Samuel eine zweite Untersuchung vornahm. »Sie haben ganz sicher keine inneren Verletzungen«, sagte er schließlich. »Eine Gehirnerschütterung, einige schmerzhafte Prellungen – in zwei, drei Wochen werden Sie jedoch wieder auf den Beinen sein.«
Samuel wollte aufstehen, aber Sébastien hielt ihn am Arm zurück. »Dr. Hahnemann – bitte glauben Sie mir, ich hatte nichts mit dem Komplott gegen Ihre Frau zu tun.«
Die Männer sahen sich lange und tief in die Augen. Schließlich nickte Samuel. »Wir werden über alles sprechen, sobald es Ihnen besser geht. Zuerst einmal sollten Sie schlafen. Charles wird Ihnen noch eine Arznei geben, und Rose bringt Ihnen später eine Tasse Hühnerbrühe. Ich verordne Ihnen strikte Bettruhe und erwarte, daß Sie meine Anordnungen genauestens befolgen!«
Er lächelte, Sébastien lächelte zurück. »Wenn ich damit den schlechten Eindruck wettmachen könnte, den ich bei Ihnen hinterlassen habe, würde ich sogar Milch trinken. Und Sie können mir glauben, das wäre die reinste Folter für mich!«
Fünf Tage später ging es ihm so gut, daß Samuel ihn nach Hause entlassen konnte. »Vorausgesetzt, Sie hüten dort weiter das Bett. Das müssen Sie mir versprechen! Haben Sie jemanden, der sich um Sie kümmert?«
»Er hat ein hübsches, rothaariges, katzenäugiges Mädchen, das ihm zur Hand geht.« Die Ironie in Mélanies Stimme war nicht zu überhören.
Sébastien schüttelte den Kopf. »Dodo habe ich nach dem Vorfall sofort entlassen. Eine Nachbarin sorgt jetzt für mich.«
Mélanie schmunzelte.
»Ist sie genauso hübsch wie Dodo?«
»Marianne ist bereits sechzig, Mutter von acht Kindern, und, mit Verlaub, sie ist potthäßlich. Dafür hat sie aber ein Herz für zwei.«
Mélanie nickte. »Um es mit einem Sprichwort zu sagen: Wenn man nicht hat, was man liebt, muß man lieben, was man hat.«
»Ich hoffe, Sie meinen das nur im übertragenen Sinn, Madame, denn Dodo war immer nur ein Dienstmädchen für mich.« Er sah ihr fest in die Augen. »Und geliebt habe ich sie schon gleich gar nicht. Wenn ich einmal eine Frau lieben würde, dann müßte sie sein wie …«
»Still!« fiel Mélanie ihm ins Wort, denn sie ahnte, was er sagen wollte. »Sie wissen, die Pariser haben, was Skandale betrifft, ein wahres Elefantengehirn. Wenn Sie und ich uns in Zukunft freundschaftlich begegnen, werden neue Gerüchte um uns schneller aufflammen, als ein Hase Haken schlagen kann. Sagen Sie deshalb niemals ein Wort, das den Schandmäulern als Futter dienen könnte. Lassen Sie uns Freunde sein, Sébastien – und wenn ich dieses Wort benütze, dann meine ich etwas Wertvolles, etwas, das ein Leben lang halten kann. Sie haben meinem Mann das Leben gerettet, das werde ich Ihnen niemals vergessen. Ich würde, wenn nötig, mit meinem eigenen dafür bezahlen – aber erwarten Sie nichts von mir, das ich Ihnen als Frau geben könnte.«
Während sie gesprochen hatte, war Mélanie auf ihn zugekommen. Nun stand sie so nah vor ihm, daß er ihren Atem spürte. Sie sahen sich tief in die Augen. Plötzlich nahm er ihre Hand, beugte sich mit einem Kuß darüber, und als er sich wieder aufrichtete, sagte er: »Sie können sich auf mich verlassen, Mélanie.«
Er ging zu Samuel und verneigte sich vor ihm. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Dr. Hahnemann.«
Samuel nahm die Pfeife aus dem Mund, wedelte mit der Hand, um den Rauch zu vertreiben, dann lachte er. »Jeder Tag ist ein schöner Tag, lieber Freund, es kommt nur darauf an, was wir aus ihm machen. Im übrigen danke ich Ihnen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen! Und ich erwarte, daß Sie am 10. August zu unserer Soiree erscheinen. Da feiere ich den Jahrestag meiner Promotion. Das ist für mich ein Festtag, seit 1779.«
»Ich werde sehr gerne und ganz bestimmt kommen«, versprach Sébastien.
Das neue Haus und Balzac
Die Kutsche bog in eine schmale, langgezogene Straße ein. Sie führte nach Norden. In einiger Entfernung lag auf einem Hügel ein
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