Hahnemanns Frau
malerisches Dorf, das Montmartre hieß. Rechts, in einem kleinen Park, stand ein palastähnliches Haus mit einer großen Treppe und einer Empore darüber.
Mélanie hielt Samuel die Augen zu. »Ab jetzt darfst du nicht mehr gucken. Erst, wenn ich es dir erlaube!«
Ein paar Minuten später hielt Eugène die Kutsche an und drehte die Bremse fest. Die Pferde schnaubten und streckten die Hälse, der Kutscher sprang vom Bock und öffnete für seine Herrschaften den Wagenschlag.
Mélanie stieg zuerst aus, dann kam Samuel und sah sich erstaunt um. »Was für eine wunderschöne Villa! Wo sind wir hier?«
»Wenn du einverstanden bist, wird das schon bald unser neues Zuhause sein.«
»Du hast dieses prächtige Anwesen gekauft?«
»Noch nicht, aber ich werde es kaufen, wenn es dir gefällt, denn das Haus in der Rue Madame ist doch längst zu klein für unsere Belange. Komm!« Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn hinein.
Im Erdgeschoß befanden sich eine große Halle, mehrere Salons und ein großer Küchentrakt. Im Untergeschoß lagen drei kühle Gewölbe, die geeignet waren, eine Apotheke einzurichten. Die Schlafzimmer in den oberen Stockwerken waren lichtdurchflutet und freundlich, und es gab, was äußerst ungewöhnlich war, sogar eine Toilette und ein Badezimmer, das sich im hinteren Teil des Hauses zum Garten hin befand.
»Natürlich gefällt es mir – es ist großartig!« Samuel war begeistert. »Nur – liegt es nicht ein wenig außerhalb?«
»Deine Patienten sind durch ganz Europa bis Köthen gereist, dann werden sie auch hierher finden.«
Er lachte. »Ich dachte nicht an meine Patienten, sondern an uns.«
»Paris wächst von Tag zu Tag. Heute hat es fast eine Million Einwohner, bald wird es vielleicht schon eineinhalb Millionen haben. Die Stadt breitet sich nach allen Seiten hin aus und wird uns hier schneller eingeholt haben, als uns lieb ist. Im übrigen: Um zu Fuß hinunter zum Arc de Triomphe zu kommen und dort bei Tortoni am Boulevard des Italiens Eis zu essen, benötigen wir nicht mehr als … nun, ich schätze, eine halbe Stunde. Nach einem arbeitsreichen Tag ist das ein schöner Abendspaziergang.«
»Du hast recht, Liebste.« Samuel nahm ihre Hand und küßte sie. »Wie wäre es, wenn wir gleich noch zu Tortoni führen, um dort das neue Haus mit einer großen Portion Vanilleeis zu feiern?«
Mélanie lachte. Samuel war geradezu süchtig nach dieser neumodischen Süßspeise, die ein Italiener nach Paris gebracht hatte. »Einverstanden«, sagte sie und ließ sich von Eugène in die Kutsche helfen.
Bei Tortoni war wie immer viel los. Es gab keinen freien Tisch mehr, aber in einer Ecke saßen Honoré de Balzac und ein junger Mann, den die Hahnemanns nicht kannten. Als Balzac seinen Arzt und dessen schöne Frau sah, winkte er die beiden zu sich und lud sie ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen.
Er begrüßte Mélanie mit Handkuß. »Kennen Sie Monsieur Sue, Madame? Er hat als Schiffsarzt viele ferne Länder bereist und ist nun Schriftsteller geworden.«
Mélanie sah den Mann interessiert an. Er hatte ein feines Gesicht mit schön geschwungenen, bogenförmigen Augenbrauen, dunkles Haar und einen ebenso dunklen Backenbart. »Wir sind uns nie vorgestellt worden«, sagte sie, »aber ich habe Ihren Roman Der Salamander gelesen, und ich glaube, ich habe Sie schon einige Male in der Oper gesehen.« Sie reichte ihm die Hand.
Eugène Sue nickte. »Ich bedauerte immer, Sie nicht zu kennen, wenn Sie so stolz und wunderschön an mir vorbeigingen.« Er wandte sich an Samuel. »Bitte verzeihen Sie meine Offenheit, Monsieur, aber ich bin sicher, Sie sind es gewöhnt, daß Ihre Frau bewundert wird.«
Als die Hahnemanns Platz genommen hatten, wandte sich Eugène Sue wieder an Mélanie. »Was halten Sie davon, daß man unser neues Monument, den Obelisk aus Luxor, nun doch auf der Place de la Concorde aufstellen wird? In spätestens zwei Monaten soll es endlich soweit sein.«
»Nach siebenjähriger Odyssee!« Mélanie schüttelte den Kopf. »Vier Jahre war der Koloß bis Frankreich unterwegs, dann noch einmal drei Jahre bis zur Place de la Concorde. 220 Tonnen Stein aus Ägypten hierher zu verfrachten – was für ein Unsinn!«
»Das Verfrachten schien nicht das Problem gewesen zu sein, sondern wo und wie man ihn aufstellen könnte, ohne Gefahr zu laufen, ihn so kurz vor dem Ziel doch noch zu zerbrechen. Eine ausgeklügelte Hebemechanik mußte erdacht und gebaut werden.«
»Wissen Sie übrigens, was das Wort
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