Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Küchengeräte, die schon lange nicht mehr benutzt worden waren, und seltsamerweise eine ungeöffnete Schachtel Marken-Cornflakes. Das Verfallsdatum lag im Oktober 1989. Da gab’s noch die DDR , fiel Lisa spontan ein.
Das allererste, was sie im Schlafzimmer tat, war das Fenster zu öffnen. Tief atmete sie den hereinströmenden Sauerstoff ein und zog dann sofort die Vorhänge zu, denn eine Nachbarin auf der anderen Straßenseite glotzte völlig ungeniert zu ihr in die Wohnung rein. Vermutlich stand die alte Frau da schon den ganzen Tag, sie hatte sich ein Kissen aufs Fensterbrett gelegt. Wobei Lisa fair sein wollte: Vielleicht machte die Alte das schon seit Jahren so. Überall in der Stadt konnte man hier und da Rentner, manchmal sogar Rentner-Ehepaare sehen, die stundenlang aus dem Fenster stierten und aufpassten, dass keiner die Straße klaute. Nun, befragen musste Lisa sie sicher nicht. Hätte die Alte auch nur das geringste zu dem Mord zu sagen, hätte sie sich garantiert schon längst bei der nächsten Polizeiwache gemeldet und genüsslich Bericht erstattet. Oder bei der nächsten Zeitungsredaktion, je nachdem was näher lag.
Lisa schaltete das Deckenlicht ein, das aus einer kahlen Glühbirne bestand. Klassisches Proletariertum. In letzter Konsequenz hatten Lampenschirme keinerlei Funktion, sondern verringerten nur die Leuchtwirkung. Was im Falle dieses Zimmers allerdings kein Verlust gewesen wäre. Es diente Krumm als Wohn- und Schlafzimmer. Gegenüber dem Bett stand der Fernseher, es gab einen Kleiderschrank, einen Couchtisch, aber keine Couch, auch keinen Sessel, ebenso wenig wie einen Nachttisch. Gäste empfing Krumm offensichtlich nie, und lesen war anscheinend auch nichts für ihn. Das getrocknete Blut überall berührte Lisa kaum noch. In dieser braunen Farbe sah es eher aus wie verschütteter Kaffee. Und dieser Kaffee war auch das einzig interessante im Raum, nachdem der „Leichen-Bausatz für Dummies“ abtransportiert worden war.
Eines interessierte Lisa allerdings: Der Schuhabdruck, der an der Schlafzimmertür hinterlassen worden war – und zwar in einer kleinen Kotzlache. Gestern hatte sie nicht darauf geachtet, dass dies eine Spur darstellte. Ihr hatte es genügt, sich nicht die Schuhe zu versauen.
Lisa kniete davor nieder. Klar war es eklig, weil die Kotze immer noch nicht ganz getrocknet war. Es war sicher interessant zu erfahren, ob sie dem Magen des Opfers oder des Täters entstammte. So ähnlich wie Zoologen aus den Exkrementen von Pandabären Rückschlüsse auf die Ernährung und den Gesundheitszustand ziehen konnten, so konnte man vielleicht auch etwas über den Mörder herausfinden – abgesehen von der Tatsache, dass er anscheinend nicht so hartgesotten war, dass er einen abgetrennten Kopf und literweise Blut problemlos verdauen konnte. Aber wahrscheinlich stammte der Fleck von Krumm – ein bisschen war in seinen Mundwinkeln gewesen, wie Lisa sich erinnerte.
Klar war jedoch: Krumm hatte keine Turnschuhe, die zu dem Sohlenprofil des Abdrucks passten. Dies war also die einzige eindeutige Spur bislang. Aber was war sie wert? Nichts. Sie hatte es bereits Sven erklärt – höchstens bei der Verhaftung eines Verdächtigen könnte es eine Rolle spielen, ob derjenige solche Schuhe hatte. Vorausgesetzt, er war blöd genug, die Schuhe zu behalten. Auf die Identität des Mörders gaben sie keinen Hinweis, abgesehen von der Schuhgröße. Na vielen Dank auch.
Immerhin konnte es sogar sein, dass er absichtlich eine andere Schuhgröße trug als normal. Dass er Schuhe getragen hatte, die er vorher nie besessen und danach sofort entsorgt hatte. Dass er absichtlich diese doch sehr deutliche Spur, die aber letzten Endes zu nichts führte, gelegt hatte.
Nun werde mal nicht paranoid, dachte Lisa. Sei dankbar, dass du wenigstens einen Hinweis hast. Hier hat der Täter gestanden, genau hier, mit dem rechten Fuß. In dieser Kotzlache, diesem wunderbar ekligen Flecken, den Fritz Krumm hinterlassen hatte und der vielleicht am Ende zur Überführung seines Mörders führte. Wenn Krumm sich anständig ernährt und nicht so viel gesoffen hätte – womöglich auch im Dienst, was so manches im BVG-Alltag erklären würde – hätte die Polizei im Moment praktisch nichts. So hatte sie beinahe nichts. Obwohl... eine Idee kam ihr. Sie würde die Jungs vom Erkennungsdienst um ein Foto des Abdrucks bitten. Es war eine kleine, unbedeutende Idee, aber meine Güte, irgendwas musste sie ja tun für ihr Geld.
Lisa
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