Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Kollegen ließ damals schnell jeden Widerstand erlahmen. Zunächst war es natürlich ein heiliger Krieg: Eine von der Psycho-Sekte, von den Backwahns, die zur Polizei will! Unmöglich, man kann sich nicht freiwillig vom Feind infiltrieren lassen, wo kommen wir dahin, als nächstes kommen noch RAF-Mitglieder zum Verfassungsschutz, was haben wir gelacht. Christiane freilich focht der Widerstand nicht an. Freundlich lächelnd erschien sie vor Gerichten und vor der Presse, stets gut gelaunt und die Liebenswürdigkeit in Person. Schließlich kippte die Meinung der Bevölkerung, anschließend die Haltung der Gerichte, und ganz am Ende auch die der Polizei. Christiane Schneider durfte auf die FH, absolvierte die Prüfung zur Kommissarin und landete auf Anhieb da, wo sie hin wollte: Im LKA 13, zuständig für Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Und da war sie immer noch.
„ Hallo, Schatz!“ begrüßte Christiane ihre beste Freundin, als sie ihr Büro betrat.
„ Mach’s kurz, ich muss gleich los“, sagte Lisa, „und hallo für dich.“ Sie setzte sich auf Christianes Schreibtischkante.
„ Wo ist denn dein Assistent?“
„ Fabian macht die Drecksarbeit und befragt zwei Arschlöcher. Da hab ich besseres zu tun.“
„ Sind das die zwei Arschlöcher von der Nielsen-Vergewaltigung?“
Lisa trommelte mit den Fingern auf Christianes Monitor herum. „Könnte sein.“
„ Und da wollte er dich nicht mitnehmen? Kluger Bursche. Der ist sensibler als er aussieht.“
„ Ja, er ist ein Butzelbärchen“, brummte Lisa. „Hattest du mit dem Nielsen-Fall zu tun?“
„ Oh ja, und ich kann mich verdammt gut dran erinnern.“ Christiane seufzte und lehnte sich zurück. „Liebling, könntest du jetzt mal deinen fetten Arsch von meinem Tisch bewegen und dich auf diese akkurate Vorrichtung dort platzieren, die ich hin und wieder gern als Stuhl bezeichne?“
Lisa kam der Aufforderung nach. „Tut mir leid. Bin nicht gut drauf. Und dein Arsch ist noch viel fetter als meiner.“
Tatsächlich achtete Christiane immer sehr darauf, stets im zweistelligen Kilogramm-Bereich zu bleiben, was bedeutete, dass sie seit zehn Jahren exakt 110 Kilo wog. Es verteilte sich alles sehr ansprechend, so dass ihr Freund Michael immer was zum Festhalten hatte. Sie wusste, dass es mehr als genug Männer gab, die auf Frauen wie sie standen, und sie versuchte stets, auch Lisa davon zu überzeugen, aber das war hoffnungslos. So emanzipiert und selbständig Lisa auch war – warum konnte sie nicht emanzipiert, selbständig und 55 Kilo schwer sein?
„ Jedenfalls“, machte Christiane weiter, „kannst du die Möglichkeit, die Nielsens, egal ob er oder sie, könnten was mit den Kopfschmerzen dieses Mannes zu tun haben, abheften.“
„ Das hab ich eigentlich auch schon.“
„ Dazu ist die Frau nicht imstande, und das sage ich als eine, die es nun wirklich wissen muss.“
Da hatte sie recht. Täglich hatte sie mit Vergewaltigungsopfern zu tun, sie wusste absolut alles über sie. Sie kannte ihre Ängste, ihre Schuldgefühle, ihren Ekel, ihren Hass. Manche waren so stabil, dass sie das Ereignis nur mit einer Schimpfkanonade und einem Gefühlsausbruch bewältigen konnten. Andere landeten in der Psychiatrie und konnten dann nicht einmal gegen ihre Peiniger aussagen, so dass diese freikamen. Die behaupteten dann einfach, die Frau habe sich absolut freiwillig mit einem wildfremden Menschen in das Gebüsch begeben, und die Schläge und Quetschungen habe sie auch gewollt. Vor Gericht nicht widerlegbar, so sehr sich die Richter dann auch aufregten.
„ Leily Nielsen war zumindest noch stark genug, um auszusagen“, fuhr Christiane fort. „Aber das war es dann auch schon. Sie hat sicher langfristige Schäden davongetragen.“
„ Ja“, bestätigte Lisa, „aber du hättest sie gestern sehen sollen, als sie gehört hat, dass Krumm tot ist. Sie war wie beseelt. Schon eigenartig.“
„ Bei ihr war der Schock über die unterlassene Hilfeleistung dieses Arschsacks größer als über die eigentliche Vergewaltigung, das weiß ich noch. Sie war früher schon mehrfach vergewaltigt worden, als Mädchen im Iran. Das war einer der Gründe für ihre Flucht. Ihr Vater war drauf und dran, sie umzubringen, um die Ehre seiner Familie zu retten.“
Lisa stirnrunzelte. „So was stand heute auch im Volksmund über einen iranischen Vater, der seine Tochter geköpft hat.“
„ Du liest diese Offenbarung Luzifers?“
„ Nicht wirklich. Immerhin haben die auch
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