Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Rangniedrigeren.
Das Telefon erzeugte einen elektronischen Klingelton, und Lobsang drückte auf einen Knopf. „Ja?“ sagte er, ohne den Hörer abzunehmen. Aus dem Lautsprecher kam eine männliche Stimme.
„ Gibt was ganz tolles! Ein vergewaltigtes Mädchen in Freising! Total brutal, der Täter ist flüchtig.“
„ Ist die Kleine tot?“ fragte Lobsang fröhlich.
„ Nein, aber kann noch sein. Der Mann hat ihr die Muschi mit einer Rasierklinge zerfetzt, nachdem er fertig war. Geil, was?“
Lobsang grinste breit. „Wahnsinn! Denkt euch schon mal was aus für die Titelseite. Irgendwie, keine Ahnung, Sex-Monster zerstückelt Mädchen, aber irgendwie griffiger, damit es die Leute auch anspricht, okay? Ciao!“
Die beiden Kommissare hatten mit offenem Mund zugehört und starrten ihr Gegenüber entsetzt an, aber der redete weiter, als habe er gerade einen fabelhaften Witz gehört.
„ So, wo waren wir? Also, gestern um drei, da hab ich zuletzt von Sander gehört. War eigentlich sein freier Tag, aber der ist irgendwie immer im Dienst.“
Lisa schluckte ihren Zorn runter und setzte die Befragung fort. „Wir sind natürlich auf der Suche nach einem möglichen Motiv. Hatte Herr Sander Feinde?“
Lobsang holte tief Luft. „Du lieber Himmel, natürlich. Der bekommt ständig Morddrohungen. Wie viele andere hier auch, sogar ich.“
„ Von wem?“
„ Von allen möglichen Spinnern, Herr Kommissar. Sie wissen ja, diese linken Öko-Fritzen, die uns grundsätzlich für alles verantwortlich machen, was schief läuft in diesem Land.“
„ Sind Sie das denn nicht?“ fragte Lisa so freundlich wie möglich.
Lobsang runzelte die Stirn. „Wie meinen Sie das?“
„ Ich meine“, begann die Kommissarin, „dass der Volksmund und andere Boulevardzeitungen es ganz allgemein darauf anlegen, ihre Leser zu desinformieren, indem sie die existierenden Informationen derart verknappen, dass nur ein verzerrtes Bild der Wahrheit dabei herauskommt. Ein verzerrtes Bild, das regelmäßig dazu dient, Ängste zu schüren, Vorurteile zu bestätigen, richtige Probleme zu verharmlosen oder wahlweise zu übertreiben, so dass eine vernünftige Sicht der Dinge unmöglich wird und die Politik zur Tatenlosigkeit verdammt ist, weil sich keiner traut, sich Ihrer Macht entgegenzustellen. Und dafür werden diese Politiker, denen Sie es unmöglich machen, ihre Arbeit zu erledigen, dann auch noch angegriffen und als faule, geldgierige Labersäcke angeprangert, was wiederum zu Politikverdrossenheit und dem Emporkommen von Rechtspopulisten führt. So was in der Art.“
Lobsang blinzelte irritiert und verzog den Mund. Von einer Polizistin hatte er ein solches Statement, das er von anderer Seite schon tausendmal gehört hatte, nicht erwartet. Er grinste schief zu Fabian rüber. „Ihre Kollegin hat ja richtig Haare auf den Zähnen, was?“
„ Nicht, dass ich wüsste“, antwortete Fabian ruhig. „Aber Frau Becker hat da etwas Wesentliches zur Sprache gebracht. Gab es Ihres Wissens nach in letzter Zeit besonders schwere Konflikte, die durch Herrn Sanders Arbeit entstanden sind?“
„ Na ja“, brummte Lobsang, „Sander war immer einer unserer Streitbarsten. Sie wissen ja, Schlagzeilen können auch Schläge sein.“ Er hielt inne, als erwartete er Beifall für diesen unglaublich witzigen Bonmot. Als keiner kam, fuhr er fort. „Schauen Sie, wir liefern leidenschaftliche Meinung und geben so dem Leser die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Wir wollen die Menschen orientieren.“
Merkt dieser Clown eigentlich gar nicht, wie widersprüchlich das ist, was er da von sich gibt? Lisa musste sich beherrschen. „Was für leidenschaftliche Meinung hat Herr Sander zuletzt denn so verbreitet? Ich frage das speziell mit Hinsicht darauf, dass sich daraus eine echte Mordabsicht entwickelt haben könnte. Morddrohungen gibt es ja häufiger mal, ohne dass etwas dabei herauskommt.“
„ Ja, das stimmt“, nickte Lobsang. „Lassen Sie mich überlegen...“
„ Hat Sander vielleicht irgendjemandem ernsthaft geschadet?“ fragte Fabian.
Lobsang richtete sich in seinem Sessel auf. Er biss sich auf die Lippen und verfiel in ein bedrücktes Grübeln. Schließlich lehnte er sich wieder zurück. „Also, da war natürlich diese Weinstein-Geschichte. Das ist natürlich übel gewesen, keine Frage. Das ist nicht gut gelaufen.“
Sofort fiel es Lisa wieder ein. David Weinstein war ein angesehener Rechtsanwalt. Über Jahrzehnte hatte er sich einen Namen
Weitere Kostenlose Bücher