Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
die Sie ein lebenslanges Abo haben.“
„ Frau Becker, die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, und...“
„ Schnauze!“ schrie Lisa. „Die Pressefreiheit gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, Kampagnen gegen unschuldige Leute zu fahren, bis sie Selbstmord begehen!“
Lobsang nahm seine Tasse und trank aufreizend ruhig einen Schluck Kaffee, bevor er antwortete. „Wir fahren keine Kampagnen, das ist lediglich pointierte Berichterstattung, finde ich. Herr Weinstein hat das aus eigenem Ermessen heraus getan, und ich versichere Ihnen, dass mir das furchtbar leid tut. Aber wir haben nichts weiter getan als, na ja, wir haben eben dem Volk aufs Maul geschaut und das geschrieben, was die Leute eben so denken. Und die Menschen sind sehr aufgebracht bei Themen wie Vergewaltigung, Kinderschänderei und diese Dinge. Wir haben diese Welt nicht erfunden, wir beschreiben sie nur. Das macht uns durchaus keinen Spaß, das versichere ich Ihnen.“
Bevor Lisa antworten konnte, klingelte wieder das Telefon.
„ Tolle Neuigkeiten“, verkündete wieder die männliche Stimme von vorhin, „die Göre ist tot!“
„ Super!“ Lobsang strahlte. „Das ist unser Titel für morgen! Habt ihr Bilder von der Leiche? Oder wenigstens von dem Balg, als es noch gelebt hat?“
„ Kriegen wir. Die Familie hat unseren Reporter rausgeschmissen, als er sich Zutritt verschaffen wollte, aber ein Nachbar hat gesagt, er hätte ein Foto von einem gemeinsamen Grill-Abend. Ist nicht übel, die Kleine war mit ihren dreizehn Jahren schon gut entwickelt, echt gute Titten, da kann man unser Sex-Monsterchen schon verstehen. Fotos von der Leiche sind noch nicht freigegeben, aber unser Verbindungsmann im Bayerischen Innenministerium tut uns gerne jeden Gefallen, dafür müssen wir ihn nur demnächst mal wieder öffentlich loben. Der will noch Minister werden.“
„ Okay“, sagte Lobsang, „tut was ihr könnt. Gute Arbeit.“
Fabian und Lisa tauschten einmal mehr Blicke aus. Dieses Mal waren sie nur noch traurig. Die Verachtung, die sie für diesen Menschen und seine Helfershelfer verspürten, war beinahe physisch existent. Lobsang focht das jedoch nicht an.
„ Sehen Sie?“ meinte er. „Das greift alles ineinander. Daran können Sie sehen, was für wichtige Arbeit wir leisten. Wir sind die ersten, die berichten werden, und wir werden am ausführlichsten und am hautnahesten berichten. Mit unserer Hilfe wird der Verbrecher vielleicht geschnappt.“
„ Wie soll das funktionieren?“ fragte Fabian. „Ich verstehe auch ein bisschen was von Verbrechensaufklärung, wenn auch natürlich nicht so viel wie Sie. Aber mir ist noch nie ein Fall zu Ohren gekommen, bei dem ein Verbrecher geschnappt wurde, weil sein Opfer der Blutgier einiger Millionen emotional verkrüppelter Menschen zum Fraß vorgeworfen wurden. Was Sie machen, ist nicht Aktenzeichen XY, sondern eine Art Jahrmarkt-Schau mit toten Kindern, Eintritt 50 Cent.“
Lisa war dankbar dafür, dass Fabian ihr zur Seite stand. Sie hatte nicht vorgehabt, diese Befragung in eine Grundsatzdiskussion ausarten zu lassen, aber sie wollte auch nicht aufhören, nur um der Etikette willen. Lobsang versuchte, die Wogen zu glätten.
„ Sehen Sie, der Volksmund übernimmt die Rolle, die vielleicht früher der Dorfbrunnen hatte“, begann er gesalbt, und es war ihm anzumerken, dass er diese Rede schon ein paar Mal gehalten hatte und für ganz besonders clever hielt. „Wo man in kleinen sozialen Einheiten hingegangen ist, wo man Meinungen ausgetauscht hat. Ich glaube, dass diese Rolle, die Themen zu setzen, den Stoff für die Unterhaltung zu liefern, die notwendigen Informationen, eben auch die frühzeitigen Informationen, dass das der Volksmund leistet. Wir erfüllen lediglich einen Dienst an der Gesellschaft.“
Jetzt nahm Lisa einen Schluck Kaffee, bevor sie antwortete.
„ Erstens“, entgegnete Lisa eiskalt, „ist das unausgegorener Dünnschiss, Herr Lobsang. Der Dorfbrunnen hat doch niemals Themen gesetzt oder den Stoff für die Unterhaltung geliefert, wie Sie es behaupten - es sei denn, es ist jemand in den Brunnen hineingefallen. Er war lediglich ein Treffpunkt. Und zweitens hat der Brunnen den Leuten wohl kaum gesagt, was sie zu denken hatten. Der Brunnen hat weder Informationen noch Fehlinformationen geliefert. Der Brunnen hat nicht gelogen. Der Brunnen hat keine Tatsachen verdreht, Beweise gefälscht, Fotos manipuliert oder wichtige Details ausgelassen. Was Sie da sagen, ist Schwachsinn hoch drei.
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