Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Nein“, antwortete Lisa down, „da ist zwar einer, den wir heute mal befragen, aber da verspreche ich mir nicht viel von. Das heißt, ich hoffe eigentlich, der Mann ist unschuldig, sonst gibt das einen Aufstand.“
„ Verstehe ich nicht“, verstand Sven nicht, „ist der prominent oder so?“
„ Schlimmer. Er ist Jude.“
„ Fuck.“
„ Da sagst du was.“
Sven hielt sich zurück, schließlich hatte Lisa seine Vorträge zum Thema Rassismus und Antisemitismus in letzter Zeit oft genug gehört. Es gab ja auch reichlich Anlass, schon lange hatte es nicht mehr eine so breite Debatte zu dem Thema gegeben, seit gewisse Politiker durchaus nicht nur des rechten Rands der Meinung waren: Wenn ich mich als Freidenker und mutiger Demokrat beweisen will, muss ich mich mit möglichst vielen Juden und Moslems streiten, denn das findet die schweigende Mehrheit schnafte. Außerdem bringt das Aufmerksamkeit, und all diejenigen, die schon lange der Meinung sind, dass diese Ranschmeißerei nun aber echt mal langsam aufhören muss, der Krieg ist lange vorbei, du meine Güte, kriegt euch ein – ja, die sind’s dann begeistert. In Langzeitstudien waren zwar nur zwanzig Prozent der Befragten als latent antisemitisch zu bezeichnen – aber diese waren eben sehr penetrant. Es war gar nicht auszudenken, was passieren würde, wenn zwei blutrünstige Morde aufs Konto eines Juden gingen.
„ Themenwechsel“, wechselte Lisa das Thema, „wie würdest du mich beschreiben, Sven?“
„ Wieso? Beschreiben? Was meinst du?“ Sven lief mal wieder karminrot an.
„ Wenn du mich verkuppeln würdest, sagen wir an einen guten Freund, wie würdest du mein Äußeres definieren? In einem Wort?“
Sven überlegte fieberhaft. Jetzt bloß nichts falsches sagen , stand auf seiner Stirn geschrieben, und zwar kursiv in Fettdruck. Schließlich traute er sich.
„ Erotisch.“
„ Oh.“ Lisa war peinlich berührt, das hatte sie Sven nicht zugetraut. „Danke.“
„ Ja... ähem, nichts zu danken...“
„ Du... findest nicht, ich wäre... kräftig... oder dick?“
Sven sah sie ernsthaft an. „Lisa, ich finde deinen Körper einfach phantastisch. Und die meisten Männer sehen das bestimmt genau so. Du hast herrliche Kurven, bist üppig und rund, Männer lieben das. Lass dir nichts einreden von Hollywood und Modedesignern, die heutzutage das weibliche Schönheitsideal bestimmen. Früher wogen Models acht Prozent weniger als die Durchschnittsfrau, heute wiegen sie dreiundzwanzig Prozent weniger. Die Schlankheitswelle ist ein rein künstliches Produkt, das am Geschmack der Menschen völlig vorbeigeht - so wie Markus Lanz. Denk mal zurück an die Achtziger, wer war da das weibliche Sex-Symbol schlechthin? Samantha Fox! Heute würden alle sagen, die ist zu dick. Und du bist sogar noch besser ausgestattet als die in ihren besten Zeiten. Du magst zwar im Moment nicht in Mode sein, aber du bist trotzdem unglaublich erotisch. Das kann der Zeitgeist nicht ändern.“
Lisa lächelte selig, wie sie lange nicht mehr gelächelt hatte. Sie wusste, er meinte es ernst. Sie beugte sich zu ihm rüber, wobei ein beträchtlicher Teil ihres nackten Busens aus dem Ausschnitt ihres Bademantels quoll, und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„ Du bist lieb“, sagte sie. „Ich weiß manchmal gar nicht, was ich an dir habe.“ Und so ein Moment ist jetzt auch gerade.
Und sie grübelte eine halbe Stunde später immer noch darüber nach, als sie mit Fabian nach Dahlem fuhr, zum Haus von Richard Weinstein. Ihr Kollege hatte ihr eine Ausgabe des Volksmunds mitgebracht, was auch nicht gerade spaßfördernd war. Abgesehen von einem zweiseitigen Porträt und Interview mit Walter Fechner, dem das Blatt sympathieträchtige Attribute wie „Ur-Berliner“, „traditionsbewusst“ und „Currywurst-Gourmet“ nur so um die Ohren haute, gab es anscheinend eine „Heiße Spur im Schlächter-Fall“. So lautete jedenfalls die optimistische Headline, gefolgt von einem andeutungsschwangeren „Bericht“, der so gut wie keine Informationen enthielt, abgesehen von der Tatsache, dass die Ermittler eine Verbindung zwischen den beiden Entkopfungen hergestellt hatten. Gottseidank hatte Lobsang darauf verzichtet, gleich mit Weinsteins Identität und seiner Glaubensrichtung zu kommen. Ob Lisas Rede am Vortag etwas in seinem Kopf bewirkt hatte? Kaum. Viel wahrscheinlicher war, dass sogar ein Boulevard-König wie Lobsang immer noch genug Gespür dafür besaß, wie weit er zu welchem
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