Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
sah Ihr Verhältnis zu Herrn Krumm aus?“ fragte Fabian.
„ Ich sagte doch, wir hatten gar keins. Er war jemand, gegen den ich eine Klage geführt habe. Nicht, weil ich ihn hasste oder ihm was Böses wollte, sondern weil meine Mandanten das so haben wollten.“
„ Wie kamen die Nielsens denn an Sie ran?“ fragte Lisa. „Immerhin leben sie in bescheidenen Verhältnissen, und Sie sind ein Star-Anwalt, so wie schon Ihr Vater.“
Weinstein trank seinen Kaffee und lächelte freundlich. „Sie machen sich falsche Vorstellungen von uns Anwälten, Frau Becker. Die meisten von uns gehen in diesen Beruf, um der Gerechtigkeit zu dienen und geschädigten Menschen zu helfen. Um Geld geht es nicht. Es ist schön, welches zu bekommen, und ich persönlich kann ebenso wenig klagen wie mein Vater das konnte, aber den Fall Nielsen habe ich – so wie eine Vielzahl anderer Fälle – über deren normale Rechtsschutzversicherung geführt, nach der geltenden Gebührenordnung.“
„ Brachte nebenbei auch Prestige ein“, sagte Fabian eine Spur aggressiver, als er eigentlich wollte.
„ Herr Zonk, Gerichtsverhandlungen sind nun mal eine öffentliche Angelegenheit. Ich habe aber keinen Pressevertreter aufgefordert, darüber zu berichten, und ich habe keine exklusiven Interviews gegeben.“
„ Aber wie kamen denn die Nielsens ausgerechnet zu Ihnen?“ hakte Lisa noch einmal nach. Ihr war aufgefallen, dass Weinstein ihre Frage nicht direkt beantwortet hatte.
„ Ich bin selber auf sie zugegangen“, sagte Weinstein jetzt geradeheraus. „War ihnen begegnet bei der Verhandlung gegen die beiden Vergewaltiger, und da habe ich mit Herrn Nielsen geredet. Normalerweise mache ich so etwas nicht, aber das Schicksal von Leily hatte mich angerührt.“
Lisa glaubte ihm, und Fabian auch. Richard Weinstein hatte es nicht nötig, sich mit einem solchen Fall zu profilieren. Sein soziales Engagement und sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn waren bekannt. Immer wieder hatte er – so wie früher sein Vater – Menschenrechtsgruppen vertreten, abgelehnte Asylbewerber, Klagen gegen umweltschädigende Konzerne und so weiter. Dass er gleichzeitig selber auch als Firmenanwalt tätig war, schien für ihn kein Widerspruch zu sein. Er vertrat unter anderem einen großen Immobilienfonds, der mehr Geld als der liebe Gott hatte. Er war wohl so etwas wie ein pragmatischer Idealist, der sich darüber im Klaren war, dass ein gutes Gewissen nur solange wertvoll war, wie er damit anderen helfen konnte.
„ Was Herrn Sander angeht“, fuhr er fort, „was soll ich sagen? Ich habe mehrfach Klage gegen seine Zeitung geführt und jedes Mal gewonnen. Dabei waren auch Artikel von Herrn Sander, die mit schöner Regelmäßigkeit die Persönlichkeitsrechte anderer Menschen verletzt haben. Und Herr Sander hat am Ende meinen Vater vernichtet.“
„ Sie sagen das so leidenschaftslos“, sagte Fabian.
Weinstein sah ihn ruhig an. „Wissen Sie, Herr Zonk, es ist schon eine komische Sache mit dem Hass. Er verfliegt bisweilen ganz schnell, wenn das Objekt des Hasses plötzlich tot ist. Vor zwei Tagen hätte ich vermutlich einen mittleren Tobsuchtsanfall bekommen, wenn ich dem Mann begegnet wäre. Aber jetzt ist er tot, und ich kann Ihnen versichern, als mein Sohn Moritz es mir gestern am Telefon erzählt hat, habe ich vor Freude fast geweint.“
Lisa musste sofort an Leily Nielsen denken. Die Tatsache, dass der Tod sowohl von Fritz Krumm als auch von Charlie Sander bei manchen Leute so viel Freude auslöste, so viel Erleichterung und Genugtuung, ließ sie frösteln. Und das waren keine schlechten, gefühllosen Menschen, die so reagierten. Ihre Freude war berechtigt, ihre Zufriedenheit über den grausamen Tod dieser Männer absolut verständlich. Zum ersten Mal spürte Lisa deutlich, dass sie mit dem Mörder sympathisierte.
Der Rest der Befragung brachte keine neuen Erkenntnisse mehr. Clara Weinstein bestätigte in von ihrem Mann übersetzter Gebärdensprache, dass dieser Freitagnacht zu Hause gewesen war. Natürlich konnten Lisa und Fabian nur mutmaßen, dass sie das tat, aber sie hatten keinen Grund, vom Gegenteil auszugehen. Eine eigene Dolmetscherin schien ihnen im Moment noch nicht nötig. Sie verabschiedeten sich freundlichst.
„ Folgende Theorie“, begann Fabian, als sie wieder im Auto saßen. „Du kennst doch diesen Hitchcock-Film, in dem zwei Männer – davon der eine eigentlich gegen seinen Willen – ein Komplott schmieden, um sich gegenseitig ihre
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