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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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doch mal um. Schau dir deine Eltern an. Schau dir deinen saublöden Vater an mit seiner Halbglatze und seinen hässlichen Glanzlederschuhen. Schau dir deine verknöcherte Mutter an. Schau dir meinen Vater an, der sich jeden Tag abbuckelt, um seinem verblödeten Boss die Schuhsohlen abzulecken. Schau dir an, was aus all denen wird. Mann, wenn die alle tot wären, wen würd’s kratzen.«
    »Mich würd’s schon kratzen, wenn meine Eltern tot wären.«
    »Jaaaahh.«
    »Und dich auch, wenn dein Vater tot wäre. Du redest Mist, Floyd.«
    »Ich mein ja auch nich dich und mich. Ich mein den Rest der Welt.«
    »Den Rest der Welt? Was soll’s den Rest der Welt denn scheren, wenn hier in Harrisburg unsere Eltern abkratzen?«
    »Eben. Nichts.« Sie schwiegen. Harv versuchte, die Gedankengänge seines Freundes nachzuvollziehen.
    »Weißt du«, setzte Floyd wieder an, »was ich den Arschlöchern erzähle, die mich fragen, was ich später mal werden will?«
    »Nee.«
    »›Tot‹, sag ich denen. ›Später werd ich mal tot sein. Und wenn ich tot bin, soll die Welt das merken.‹«
    »Und wie soll das gehen? Willst du dich mit ’ner Atombombe in die Luft sprengen?«
    »Quatsch. Aber schau dir diesen Blödmann Elvis an. Als der gestorben is, haben sie den ganzen Tag im Radio nur Elvis-Songs gespielt. Das ist ’ne Art abzutreten, Mann. Und Elvis war ’ne fette alte Schwuchtel. Das geht noch viel besser. Das kann man noch viel härter hinkriegen.«
    »Aha. Und wie willst du so berühmt und wichtig werden, dass die ganze Welt um dich heult, wenn du dieses Jahr sitzen bleibst und nich mal auf die Highschool kommst? Denkst du denn, dass du’s als Schürfhund beim Tagebau zu Ruhm bringen wirst? Ich kenn das doch von meinem Bruder. Der wollte auch Rockstar werden, hat nur davon geredet und schon Pläne gemacht und den ganzen Scheiß, und irgendwann war er von der ganzen Schufterei zum Geldverdienen so kaputt, dass er nach Feierabend nur noch in die Poofe fallen konnte, und weg war er. Aus der Traum. Ein weiteres Stück in deinem Haufen, um den niemand weint.«
    »Weil er nich gut war. Weil er nich gut genug war. Dein Bruder war’n Arsch, und er ist immer noch’n Arsch. Auszusehen und sich breitbeinig hinzustellen wie die Kerle von Deep Purple und Black Sabbath reicht eben nicht. Und jetzt kommt dieser ganze bescheuerte Briten-Pop und alle wollen plötzlich sein wie Howard Jones oder Human League oder der beschissene Culture Club und Spandau Ballet und diese ganzen anderen geschminkten Tunten, die’s alle nich draufhaben.«
    »Und du hast’s drauf?«
    »Ich bin erst dreizehn, Mann, was erwartest du von mir? Aber ich werd meine Zeit jedenfalls nich verplempern mit Highschool und Abschlussbällen und irgendwelchen scheiß Cheerleadern. Spätestens, wenn ich endlich achtzehn bin, werd ich die Sicherungen durchbrennen, verlass dich drauf.«
    Harv schnaubte. »Du hast ja noch nicht mal ’ne Gitarre. Ich hab’ wenigstens eine.«
    »Na und? Ich besorg mir schon noch eine, mach dir darum mal keine Sorgen.«
    »Und wie? Dein Vater erlaubt dir das doch nie. Der will, dass aus dir was Ordentliches wird. Der will doch ganz sichergehen, dass es dir später besser geht als ihm. Wenn du ihm da mit Musik ankommst, dreht er doch durch. Mein Bruder ist als abschreckendes Beispiel doch im ganzen Viertel bekannt.«
    »Dann wird’s mein Vater eben gar nicht erfahren.«
    »Und wie soll das klappen? Wie soll er’s nicht erfahren, wenn du nicht mehr zur Schule gehst? Hast du darüber schon mal nachgedacht?«
    »Nein. Na und? Scheiße. Fuck!«
    »Ja. Und genauso haben sie dich. Wie mein Bruder immer sagt: Wir haben keine Chance. Von dem Augenblick an, wo sie dich einschulen, wenn du sechs Jahre alt bist, gibt es keinen Ausbruchsweg mehr. Links und rechts nur meilenhoch die Scheuklappenmauern von der Einbahnstraße in die Scheiße.«
    Wie gepackt und durchgerüttelt von unsichtbaren Titanenhänden der Wut und der Frustration rappelten sie sich gleichzeitig auf, sprangen halsbrecherisch vom Dach auf die betonierte Schräge der Flusseindämmung und taumelten zwischen Stacheldrahtauswüchsen, Schnapsflaschenscherben und dem schaumigen Morast am Wasser hin und her. Harv fand keine flachen Steine mehr und versuchte es stattdessen mit bernsteinfarbenen Scherben, aber die ersoffen ziemlich schnell. »Und es kann doch klappen«, meinte Floyd nach einer Weile. »Es kann dann klappen, wenn es dir nichts mehr ausmacht, was andere Leute über dich denken. Wenn du

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