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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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gesamte ehemalige Fabrikhalle dermaßen ab, dass sie der Kurve einer Radrennbahn gleicht. Das Geräusch, das dabei entsteht, erinnert an einen Flugzeugträger, der sich langsam in einen aus farblos-transparenten Glasperlen bestehenden Strand bohrt. Nick holpert wie ein von der Straße abgekommener Traktor aus dem Rhythmus, lässt die Becken wie einen Wolkenbruch rauschen und schleicht mit gesenktem Kopf, wie gedemütigt, von der Bühne. Floyd ist jetzt alleine da draußen, fast wie zu Beginn der zweiten Halbzeit, aber woanders, viel weiter innen. Er steht jetzt fast nur mit den Fersen auf der Bühne, und man könnte den Eindruck gewinnen, er könnte jetzt vielleicht auch auf den Köpfen und Schultern der Menschen durch die Halle spazieren wie über ein bewegtes Meer. Was er in den folgenden zehn Minuten tut, kann man nicht anders beschreiben als: Er bringt die bislang letzte Inkarnation des Blues auf die Welt. Was ihn von Hendrix unterscheidet, ist seine vollkommen versunkene Reglosigkeit und die sich jeglicher musikalischer Eingruppierbarkeit entziehende tonale Radikalität seines Spiels. Was ihn von John Lee Hooker unterscheidet, ist das gleißende Flirren betont glissierter Saitenzüge. Was ihn von den sogenannten Gitarrenvirtuosen der Neuzeit unterscheidet, ist die Tiefe seines Empfindens.
    Er exemplifiziert die Evolution rückwärts in diesen Minuten. Auf der Spitze seiner Gitarre balanciert er die in verschiedenen Farben leuchtenden Seelen derer, die ihre Ohren jetzt der Entjungferung preisgegeben haben. Der Hals des Instruments wird zur Steuerfluke eines Wikingerschiffes, das sich durch Gestade der Zeit in unentdecktes Gebiet vorwagt. Manchmal bewegt er den Hals von links nach rechts oder auch wieder zurück. Dann ändert er den Kurs.
    Das Spiel – eben noch rasend und virtuos – wird nun langsamer, Floyd verschleppt psychotische Harmonien, schaukelt Wiederholbarkeiten auf zu gesetzhaften Monotonien. Er zerstört die Kaputtheit dieser Ton-Neurosen durch lärmig-sengende Einsprengsel von antirationaler Herkunft. Die Sprache endet hier, notwendigerweise. Er ist jetzt ganz Pathos.
    Dieses Pathos ist ein Schlüssel.
    Eine hermetische Rechnung.
    Versuchen wir es einmal so:
     
    Jenseits
    von
    Ratio
    ist da diese Universalsprache
    nennen wir sie
    Musik
    sie ist für jedermann verständlich
    der sie hören kann
    sie bringt hervor
    Ablehnung oder Begeisterung
    Desinteresse oder Emotion
    Bewegung
    sie ist lächerlich einfach
    wenige mögliche Töne nur, mehr mögliche Klänge schon
    sie erlaubt außerordentliche Fähigkeiten
    weckt sie
    Pathos ist der Schlüssel
    nach außen
    Übertreibung
    Veräußerung
    Pop
    Pop
    Veräußerung
    Übertreibung
    nach außen
    Pathos ist der Schlüssel
    weckt sie
    sie erlaubt außerordentliche Fähigkeiten
    wenige mögliche Töne nur, mehr mögliche Klänge schon
    sie ist lächerlich einfach
    Bewegung
    Desinteresse oder Emotion
    Ablehnung oder Begeisterung
    sie bringt hervor
    der sie hören kann
    sie ist für jedermann verständlich
    Musik
    nennen wir sie
    ist da diese Universalsprache
    Ratio
    von
    Jenseits
     
    Floyd stutzt für ein paar Momente, die Irritation ist definitiv kakophonisch. Das Wort Pop schmeckt ihm bitter, aber Pop ist er, ist das, was er hier macht. Es ist bei aller Inbrunst, aller Attitüde – und gerade deshalb – Pop.
    Er lächelt. Großkotzige Worte hat er Utah gesagt vor Beginn des Konzerts. Die Wahrheit sagen wollte er. Stattdessen erfährt er hier die Wahrheit. Er geht nicht raus auf diese Bühne vor diese Menge und spielt, um irgendetwas zu geben, sondern um zu empfangen.
    Das ist so verrückt, wie es einleuchtend ist.
    Er nimmt seine Rolle jetzt an. Sie ist – schließlich – nicht das Schlechteste. Besser als ein Leben als Lohnsklave in Harrisburg. Besser als gar nicht zu wissen, wer man eigentlich ist oder was man hier soll. Besser der unausgewogene Vollzieher heranwachsenden Zorns zu sein, als irgendein farbloser Fußabtreter irgendwo im toten Herzen des Landes.
    Er lässt sich in Rhythmik zurückfallen wie in die behagliche Kuscheligkeit einer körperwarmen Gummizelle. Utah taucht wieder auf und spielt mit ihm mit. Nick ist auch da irgendwo und treibt sie vorwärts wie der Paukenmann auf der Galeere. Halloran liefert dunkle Bezugspunkte. Sie beziehen sich. Sie geben eine fast fünfzehnminütige Funk-Jam-Session von ›Crazy Telecaster‹, die das Publikum vollends aus dem Häuschen treibt. Die von Donelli veranschlagte Gesamtspieldauer des Videotapes

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