Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
Vom Netzwerk:
die noch nicht einmal eine Freigabe für den ersten direkten Kontakt zu den Einheimischen erhalten hatte. Entweder hatte sie bei ihrer Ausbildung mit enormen Leistungen geglänzt, oder Gibb war ein außergewöhnlich großzügiger Boss.
    Das erste Bild, das ich von Santiago fand, wirkte weniger angenehm und weniger gestellt als das von Warmuth; es war ein aufrichtiges Foto, aufgenommen aus der Entfernung, das sie am Überwuchs hängend zeigte. Im Hintergrund waren vier Brachiatoren zu sehen, die weniger hierher zu gehören schienen als sie. Alles, was ich aus diesem Bild schließen konnte, war, dass sie den physischen Anforderungen dieser Arbeit gewachsen war. Ich rief ein weiteres Bild auf: ein unbeholfen gestelltes Foto von Santiago in einem dreieckigen Korridor, die Arme vor der Brust verschränkt, eine dünne Braue hochgezogen. Sie hatte dunkle Augen, braune Haut, ein rundes, von hellbraunem Strubbelhaar umrahmtes Gesicht und eine leichte Progenie, durch die ihre Unterlippe so aussah, als ziehe sie einen Schmollmund. Von einem Lächeln keine Spur.
    Santiagos Papiere waren weniger umfangreich als die von Warmuth, doch haftete ihnen ein bitterer Ton an. Ein Abschnitt, den Lastogne für mich markiert hatte, war besonders interessant. »Für die meisten empfindungsfähigen Wesen ist mit der Zugehörigkeit zu ihrer Spezies ein Einfluss auf selbige verbunden. Mensch zu sein heißt hingegen oft, von der Masse der eigenen Spezies niedergebrüllt zu werden. Es bedeutet, nur eine stimmlose Zelle im Funktionsablauf des Organismus zu sein. Es bedeutet, Besitz zu sein.«
    Da war es wieder. Besitz.
    Das konnte ein Zufall sein. Immerhin war dies ein verbreiteter Gedanke im Kreise hinlänglich zynischer Personen, eine Parade, die anzuführen ich meinen Teil beitrug. Santiagos Vergangenheit als Schuldensklavin machte diese Einstellung sogar verständlich. Es gab zu viele Welten wie ihre, zu viele Leute wie sie, die sich verzweifelt danach sehnten, jene Welten hinter sich zu lassen. Diese Bedürftigen stellten einen großen Teil des Mitarbeiterstabs des Dip Corps.
    Ein Blick auf Santiagos Vertragsbedingungen verdeutlichte das Problem: Die Frau hatte ihre eigenen Schulden gegen einen Zehn-Jahres-Vertrag eingetauscht. Nachdem das Dip Corps die Kosten für ihre Verschiffung, ihre Ausbildung und die medizinische Behandlung hinzugerechnet hatte, die notwendig gewesen war, um ihre Lungen und ihre Körperchemie von den industriellen Toxinen ihrer Heimatwelt zu befreien, die sie anderenfalls spätestens mit vierzig umgebracht oder zumindest erwerbsunfähig gemacht hätten, hatte sich die Zeit, die sie gemäß Vertrag schuldete, von zehn auf zwanzig Jahre verdoppelt.
    Verlängerte Laufzeit, genau wie bei Warmuth: ein Zufall oder eine Verbindung? Wie auch immer, es dürfte ihr nicht viel ausgemacht haben. Das Corps stellte die angenehmste Art der Schuldensklaverei dar - die Art, die in Freiheit endete, wenn die Arbeit erledigt war.
    Aber Sklaverei war es immer noch. Besitztum.
    Eben das, was die Leute erzürnte.
    Santiago wurde als zornige Person beschrieben.
    Wir sind alle Besitz.
    Ich konzentrierte mich auf die Akte. Santiago hatte sich in ihren Monaten auf One One One einen kleinen Zeitbonus verdient, war aber auch für antisoziales Verhalten bestraft worden. Die härteste Strafe hatte sie sich nach der Konfrontation mit Warmuth eingefangen. Ein kurzes Nachrechnen ergab, dass sie ihren Vertrag etwa in Echtzeit abarbeiten würde. In der Tat ein mittelmäßiger Wert. Ich fragte mich, inwieweit ihre Aggressivität politische und inwieweit persönliche Hintergründe hatte.
    Ich dachte an eine andere aggressive Person: Lastogne.
    Auch er hatte angedeutet, Besitz zu sein.
    Er hatte das Wort besonders betont.
    Lastogne kam mir vor wie ein Mann, der über den Handel, den er geschlossen hatte, verbittert war.
    Hatte er mir einen sanften Stups in die Richtung gegeben, in die er die Ermittlungen lenken wollte?
    Oder versuchte er, Spuren zu verwischen? Vielleicht drückte er lediglich Knöpfe. Vielleicht war auch all sein Gerede über Santiagos Verhalten nur eine Nebelwand.
    Ich wies den Hytex an, mir seine Akte anzuzeigen.
    Nichts.
    Ich rief die Dip-Corps-Datenbank auf und setzte nicht nur die Sicherheitscodes ein, die ich mir verdient hatte, sondern auch einige andere, die meine Vorgesetzten gewiss nicht in meinen Händen wissen wollten.
    Nichts.
    Ich biss mir in den Daumen und fragte mich, ob ich seinen Namen falsch in Erinnerung hatte.
    Nein, der

Weitere Kostenlose Bücher