Halbmast
Augenbrauen und dunklem Teint. Man sah ihm an, dass er in seinem Leben schon viel hatte aushalten müssen.
«Kto pracuje, ten se nie zaluje. Jaka praca, taka píaca»,
hatte er auf Polnisch gesagt und dann gleich in seinem falsch betontem Deutsch übersetzt. «Dies ist eine polnische Redensart: Nur für gute Arbeit bekommen gutes Geld. Und hier ist gute Arbeit. Meine Frau ist auf Insel und putzt in Hotel. Wenn ich sie nach drei Monaten wieder sehe, sind ihre Hände rau und kaputt vom vielen Waschwasser. Und ich haben Schmerzen an alle Stellen von Körper wegenFenster- und Fassadenputzen. Aber wir können das Haus bezahlen, in dem unsere drei kleineren Kinder und meine Mutter wohnen. Svetlana wollte studieren, sie war kluge junge Frau, dafür musste auch Geld da sein. Wir arbeiten und arbeiten, Svetlana auch ein halbes Jahr hier in die Werft Räume geputzt. Sie war so fleißig, aber sie wusste, wenn wir alle mithelfen, dann es geht uns gut das ganze Jahr. Verstehst du das nicht?»
«Aber was ist mit Svetlana passiert?»
«Ich will nicht darüber reden.»
Robert Adamek war ein stolzer und verzweifelter Mann, der nicht wusste, wie er seiner Frau erklären sollte, dass die älteste Tochter unter seinen Händen gestorben war. Aus diesem Grund verdrängte er alles, packte seine Tasche und ging zur Arbeit. Vielleicht hätte Marten es an seiner Stelle nicht viel anders gemacht.
Doch im Gegensatz zu Robert Adamek hatte Marten nichts mehr zu verlieren. Und er hatte so viel Wut im Bauch.
«Ich werde diese Sache melden», hatte Marten gesagt. «Es kann nicht sein, dass Svetlana sterben musste, weil sie nicht gemeldet und versichert war. Das kann nicht sein und das darf nicht sein. Ich werde zur Zeitung gehen, zum Fernsehen, was auch immer. Schmidt-Katter und seine Leute werden dafür büßen müssen!»
«Warum willst du das tun?», hatte Robert Adamek gefragt. «Was hast du zu tun mit meine Tochter? Wenn einer die Menschen bestrafen muss, weil sie ist tot, dann bin ich das. Und du nur ein Fremder. Lass uns in Frieden! Wenn das rauskommt, dann wir verlieren alle unsere Arbeit.»
Marten hatte auf den Mann gehört. Zumindest an diesem Tag.
Zweimal noch hatte er in der Mörkenstraße geklingelt. Zweimal wollte er seine Hilfe anbieten und hatte gehofft,mehr über die Umstände zu erfahren, unter denen Svetlana gestorben war. Doch Robert Adamek hatte ihn nie eingelassen.
Erst als er das erste Mal wieder eine Pizza essen war, hatte es für Marten Klick gemacht. Wahrscheinlich war es reine Selbstquälerei, dass er sich in ihrem Restaurant an genau den Tisch setzte, an dem er immer mit Svetlana gesessen hatte. Als der Kellner kam und fragte: «Soll ich für die junge Frau gleich eine Pizza Calzone machen, sie hat sich doch sicher nur verspätet», da war ihm klar geworden, dass er sehr wohl ein Recht darauf hatte, sich in diese Geschichte einzumischen. Er war kein Fremder. Svetlana hatte viel Zeit mit ihm verbracht und sie hatte nach ihm gerufen, als es ihr schlecht ging.
Darum hatte er begonnen, auf eigene Faust herauszufinden, was geschehen war.
Und drei Tage später hatte er zum ersten Mal vor Perls Haus gestanden und durch das Fenster beobachtet, wie dieser bei seinen Lieben am Abendbrottisch saß.
Marten versuchte, die Gedanken an damals zu verdrängen. Er war kein Mann, der sich gern selbst bemitleidete. Gut, in letzter Zeit war sehr viel schief gelaufen in seinem Leben, und irgendwie war immer die Schmidt-Katter-Werft an seiner Misere schuld. Doch er hatte ja sein Möglichstes getan. Er hatte aufgeklärt, was wirklich passiert war, und den Schuldigen ließ er nun stundenlang in einem dunklen Loch vor sich hin brüten. Wenn er sich in Eemshaven von Bord schlich, würde es ihm besser gehen. Vielleicht war dann die Zeit gekommen, etwas Neues zu beginnen.
Er saß noch immer dort hinter dem Lüftungsgitter der Kapitänsbrücke und versuchte, das Gespräch der Männerzu belauschen. Sie machten sich Gedanken, wie sie den Vorfall weitestgehend vertuschen könnten.
Es würde schwierig werden, Grees war ein bedeutender Mann gewesen. Als er noch Betriebsratsvorsitzender gewesen war, oblag es seiner Zustimmung, welche Subunternehmer auf den Schiffen mitarbeiten konnten, und welche nicht. Aus diesem Grund hatte Grees auch direkten Einfluss auf die Entwicklung der Arbeitsplätze gehabt. Wenn der Betriebsrat sein «Ja» für einen neuen Schwung osteuropäischer Arbeiter verwehrte, blieben fünfzig Leute mehr bei
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