Halbmondnacht
sämtliche nötigen Papiere im Handschuhfach. Trotzdem fielen den Beamten noch genügend Fragen ein. Nach der dreizehnten Frage über den wundervollen, ach so fantastischen Militär- SUV blickte ich meinen Bruder mit hochgezogenen Augenbrauen an und beschwerte mich leise: »Warum hast du uns nicht einen netten durchschnittlichen Buick besorgt anstelle dieses großkalibrigen Bibos?«
Tyler erwiderte meinen Blick finster. »Nett und Buick passen einfach nicht in ein und denselben Satz, Schwesterlein.«
Nicks besondere Überzeugungsgabe hätte uns hier und jetzt wirklich gute Dienste leisten können. War ja klar, dass Nick so eine coole Gabe besaß und den menschlichen Verstand nach Belieben beeinflussen konnte. Ich dagegen musste mich mit der Herrschaft über die Übernatürlichen zufriedengeben – was total nutzlos war, wenn man den Wunsch hegte, nach einem erfüllten Leben in hohem Alter dahinzuscheiden.
»Okay, und was glaubst du nun, was Vampire so essen?« fragte Danny, nachdem man uns an der Grenze endlich durchgewinkt hatte. »Trinken sie nur Blut? Oder genießen sie es hin und wieder doch, ihre Beißer in rohes Fleisch zu schlagen und das Ganze mit einem ordentlichen Schluck Wein hinunterzuspülen, was meinst du? Es muss doch unglaublich langweilig sein, tagein tagaus Blut zu saufen. Für mich zumindest wäre das so gar nichts.«
»Es ist mir so etwas von schnurz, was Vampire essen, echt«, entgegnete Tyler, während er die ganzen Papiere wieder im Handschuhfach verstaute. »Jedenfalls solange sie sich schön brav von mir fernhalten. Da draußen gibt es keine andere übernatürliche Gemeinschaft, die schlimmer ist als Vampire. Tot zu sein und trotzdem noch zu funktionieren hat was davon, einer Leiche wieder einen Lebensfunken einzuhauchen. Es ist gegen alle Naturgesetze.«
»Du weißt schon, dass das genau das ist, was Totenbeschwörer und Nekromanten tun, ja?«, meinte ich und warf ihm einen Seitenblick zu. »Sie hauchen tatsächlich Leichen Leben ein, und zwar hauptberuflich. Das finde ich tausendmal schlimmer und ekeliger als Vampire. Du weißt schon, die Haut, die sich abschält und in Fetzen herunterhängt, die heraushängenden Augäpfel, das ganze Herumstolpern wie in Die Nacht der lebenden Toten .« In Wirklichkeit hatte ich noch nie eine wiedererweckte Leiche gesehen. Aber mein Bild davon konnte nicht so weit von der Realität entfernt sein. Wir konnten von Glück sagen, dass Nekromanten so dünn gesät waren. Als ich klein war, hatte mein Vater mir einmal erzählt, dass es sich um eine uralte Art von Magie handele, die heutzutage nur noch sehr selten angewandt werde. »Vampire haben einfach nur andere magische Kräfte als wir, weiter nichts. Sie sind auf ihre eigene Art lebendig.«
Danny ging auf keinen von unseren Kommentaren ein. Stattdessen sagte er: »Meint ihr, die funktionieren untenrum noch ordentlich, ihr wisst schon, von dem Moment an, wo sie untotsind?« Er beugte sich vor. »Das stell ich mir schlimmer vor als das ganze Blutsaufen. Was ist denn das Leben schon, wenn man nicht hin und wieder mal eine ordentliche Nummer schieben kann?«
Vor uns entdeckte ich gerade eine geschützte Stelle, an der wir nach rund zehn Kilometern Fahrt halten konnten. »Ich habe keinen blassen Schimmer, ob sie Sex haben können, Danny, und es ist mir auch egal.« Ich lenkte den Hummer eine schmale, dieses Mal jedoch befestigte Straße entlang. »Wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, Ray wieder aufzusammeln und die nächsten Schritte zu planen. Du kannst den Vampiren ja später immer noch nach Herzenslust ein Loch in den Bauch fragen, wenn’s dir denn Spaß macht. Aber wenn du das tust, sei so nett und sieh dich vor, ja? Bitte denk daran, dass sie von jetzt auf gleich wütend werden könnten, wenn du in ihrem Privatleben herumstocherst. Eamon sieht aus, als würde er dich eher leerlutschen, als dir auch nur ein einziges Detail über sich zu enthüllen.« Ich wandte mich meinem Bruder zu. »Kurbel doch mal das Fenster herunter und versuch, ihre Witterung aufzunehmen.«
Tyler tat wie geheißen und sog tief die Luft ein, während wir langsam dem Verlauf der schmalen Straße folgten. »Sie sind da draußen. Ich kann sie riechen. Aber vom fahrenden Auto aus kann ich nicht feststellen, von wo der Wind weht.«
»Das reicht mir schon.« Ich suchte mir einen großzügig bemessenen Standplatz aus und ließ den Wagen dort ausrollen. Im selben Augenblick, da wir beim Aussteigen den Fuß auf den Asphalt
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