Halbmondnacht
gesprochen hat. Und selbst wenn wir mit der Hand in den Kopf des Steinwesens greifen könnten: Woher sollen wir wissen, was wir dann zu tun haben? Wir sind nicht geübt darin, Magie zu praktizieren. Sie gab Laut und kratzte mit der Pfote den Boden auf. Langsam nahmein weiteres Bild Gestalt in meinem Kopf an. Ich erkannte einen Kasten, vielleicht eine Lackschatulle oder etwas Vergleichbares. Jedenfalls war der Deckel lackiert und mit Einlegearbeiten verziert. Mit Schriftzeichen. Ich hatte nicht die Zeit, genauer hinzusehen. Denn just in diesem Moment hatte der Mahrac genug davon, dass Naomi vor seiner Nase herumtänzelte. Er drehte sich um und brüllte.
Und dann warf er einen Erdbrocken von den Ausmaßen einer Couchgarnitur nach uns.
Mit der Wucht einer Lawine riss der Erdbrocken alles mit sich. Ich hechtete zur Seite. Meine Wölfin versorgte mich mit einer gehörigen Portion Adrenalin. Noch während ich in der Luft war, konnte ich die Krallen ausfahren und spürte meine Reißzähne wachsen. Ich rollte mich ab und kam sofort wieder auf die Füße. Sogleich wirbelte ich herum, um nach Tyler und Danny zu sehen. Im selben Moment stieß der Mahrac einen Jubelschrei aus.
Nicht weit von der Stelle, wo wir eben noch Deckung gesucht hatten, lag eine Gestalt lang ausgestreckt auf dem Boden.
Tyler.
In freudiger Erwartung stapfte der Mahrac auf ihn zu. Bei jedem Schritt zermalmte er alles, was ihm unter die Füße kam. Es klang wie eine Abfallpresse bei der Arbeit. Wenn das Steinmonster Tyler erreichte, würde es einfach auf ihn treten und seine Wirbelsäule zertrümmern.
Bevor ich reagieren konnte, brüllte Danny: »Komm her, du dämliches Stück Scheiße! Warum kommst du nicht und holst mich, he, Weichei? Kümmer dich nicht um den; der ist doch schon hin. Ich aber bin quicklebendig, schau, und bereit, dich an die nächste Wand zu nageln.« Danny warf die Feldflasche, mit deren Inhalt wir das Camazotz -Gift von seinem Körper gewaschen hatten, nach dem Steinriesen. Sie traf ihn seitlich am Kopf. Bei jemandem mit einer weniger überdimensionierten Figur hätte die Wucht hinter dem Schläfentreffer zum Sieg durch K. o. geführt.Bei dem Steinkoloss hatte der perfekte Treffer nicht die geringste Auswirkung. Allerdings reichte das, um die Aufmerksamkeit des Riesenkerls zu erringen.
Statt einen Stein aufzuklauben oder wieder mit Erde zu schmeißen wie eben, pflückte sich der Mahrac einen Baum aus dem Boden mit allem Drum und Dran: dem Riesenstamm und dem ebenso beachtlichen Wurzelballen plus reichlich Erde. Kaum war das getan, warf er mit der neu gewählten Distanzwaffe nach Danny. Obwohl Danny nach seiner Herausforderung keinen Augenblick gezögert hatte, sondern losgerannt war, erwischte ihn der Baum mit den obersten Ästen und schleuderte ihn tief in den Wald hinein.
Naomi landete unmittelbar vor mir. »Ich lenke ihn wieder ab, und du musst ihm dann gleich auf den Rücken springen.«
»Und was soll ich tun, wenn ich das geschafft habe? Soll ich dem Kerlchen vielleicht den Kopf abreißen? Dann wird er sich doch einfach einen neuen suchen, oder nicht?«
Sie war so aufgebracht, dass mich ihr Blick förmlich durchbohrte. »Ich habe gehört, was Eamon dir über den Zauberer erzählt hat. Wenn genug Magie in deinem Blut ist, um selbst Unterweltgift aufzulösen, dann ist auch genug da, um dieses Monster zu kontrollieren. Also, los jetzt!« Kaum hatte sie das gesagt, hob sie auch schon ab.
Der Steinkoloss heulte auf und wandte sich wieder Tyler zu. Naomi flog vor sein Gesicht, wedelte wild mit den Armen, aber der Mahrac nahm keine Notiz von ihr. Entschlossen stapfte er auf meinen Bruder zu. Er wollte nur eins: Tyler töten.
Keine Zeit zum Nachdenken.
Also dann, auf geht’s. Ich spurtete los und sprang. Die Kraft und die Stärke, mit denen meine Wölfin mich fütterte, ließ ich, begleitet von ihrem Geheul, in mich hineinfließen. Gierig sog ich alles auf, was sie mir zu bieten hatte. Unter meiner Haut verschmolzen Muskelstränge, die ihre Größe binnen eines Herzschlags verdreifachten. Fell spross auf meinen Armen, und ich stieß ein wildes, bösartiges Knurren aus. Ich sprang und landete auf dem Rücken des Steinmonsters. Mit meinen Lykanerklauen krallte ich mich dort fest. Es ging viel einfacher als befürchtet; ich fand sogar guten Halt. Der Steinkoloss versuchte mich abzuwerfen, aber ich kletterte den Rücken hinauf, als wäre er eine leicht zu besteigende Steilwand, was in gewisser Weise ja auch stimmte. Der Mahrac
Weitere Kostenlose Bücher