Halbmondnacht
war kein besonders biegsames Geschöpf; in diesem Fall war sein Steinkörper ein Vorteil für mich. Unbeholfen schlug er mit seinen Steinfäusten nach mir. Doch alles, was er erreichte, war, dass noch mehr Bäume in seiner Reichweite zerschmettert wurden.
»Rauf auf seinen Kopf!«, rief Naomi.
»Und was dann?«, schimpfte ich leise vor mich hin. »Das ist doch die eigentliche Frage hier.«
Ich legte dem Mahrac die Hände um den Hals, ein mächtiger, rechteckiger Felsblock, und trieb meine Krallen tief in den Stein. Versuchsweise rüttelte ich an dem Block, um herauszufinden, ob ich ihn herausreißen und auf diese Weise den Kopf vom Körper trennen könnte. Das blöde Ding bewegte sich kein Stück. Es blieb, wo es hingehörte, als wäre es mit irgendeinem aberwitzigen übernatürlichen Zement an Ort und Stelle gepappt worden.
Der Mahrac drehte sich immer weiter um die eigene Achse. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er mich in einen der Bäume katapultierte. Hier ist nichts, woran ich mich festhalten könnte. Was soll ich jetzt tun? Meine Wölfin kläffte und grub in rasender Hast die Schatulle aus, die sie mir vorhin schon gezeigt hatte. Nun drehte sich der Steinkoloss noch schneller, um mich endlich doch noch loszuwerden. Wenn er schlau genug war, das zu tun, hatte er wohl doch ein Gehirn mit Verstand darin. »Du wirst mich nicht los«, zischte ich seinem Hinterkopf zu. »Dieser Höllenritt ist erst vorbei, wenn’s mit dir vorbei ist!«
Mein Gegner wurde langsamer, als hätte er nicht nur gehört, sondern auch verstanden, was ich gesagt hatte.
»Ganz richtig. Ich versprech’s dir sogar«, grollte ich. »Mich wirst du nicht los, ehe du den ganzen Mist hier sein lässt. Und, was ist nun: Sagst du mir, wie du die Sache siehst?«
Der Mahrac stieß ein grollendes Geheul aus, das klang, als mahlten Mühlsteine aufeinander. Er drehte sich jetzt langsamer, so, als wäre er damit beschäftigt, seine Chancen abzuwägen.
Und, verdammt, das tat er auch!
Er rannte los. Einen Augenblick lang wusste ich nicht, wohin die Reise gehen sollte. Dann aber brach er durch die letzte Baumreihe und steuerte geradewegs auf den Bergkamm zu.
»Jess, er stürzt sich die Steilwand hinunter!«, brüllte Danny irgendwo hinter mir. »Du musst springen. Spring! «
Am Rande meines Blickfelds sah ich Naomi auf mich zufliegen. Jetzt hingen unzählige geflügelte Teufel an ihr. Aus einem mir völlig unerfindlichen Grund hatten sie sich an mich noch nicht herangewagt. »Naomi«, schrie ich, »zieh dich zurück, ich schaff das hier allein!«
Zeit zum Überlegen blieb keine. Viel fehlte nicht mehr, und der Steinriese würde mit mir auf seinem Rücken in die Tiefe stürzen. In einer ebenso fließenden wie kraftvollen Bewegung holte ich aus und versenkte meine Faust im Hinterkopf des Mahracs. Wo sie auftraf, splitterte Stein, den es hinunter auf die Flanke des Bergkamms regnete. Zurück blieb ein faustgroßes Loch. Aber Einfluss auf den Steinriesen und seine Laufgeschwindigkeit hatte das nicht. Wieder holte ich aus und platzierte die Faust mit übernatürlicher Kraft und unter grollendem Knurren erneut auf derselben Stelle. Dieses Mal stieß ich mit der Faust ins Schädelinnere vor. Der Mahrac fuhr zusammen, zögerte, schien langsamer zu werden, als ich die Faust öffnete und meine Finger in seinem Schädel bewegte. Ich tastete nach dem, was dieses Steinding zum Funktionieren brachte. Jetzt endlich wurde es tatsächlich und deutlich langsamer und schüttelte den Kopf. Ich musste alles aufbieten, um die Hand dortzubehalten, wo sie war. MeineWölfin kläffte wie wahnsinnig. Was denn? Was soll ich tun? Sie knurrte ungeduldig. Zeig es mir! Ich kapier’s nicht. Sie beugte sich vor und stupste mit der Schnauze den Deckel der Schatulle an. Er fiel herunter, und gleißendes Licht blendete mich. Es elektrisierte meine Sinne, fuhr durch mich hindurch wie ein Stromschlag. Instinktiv drängte es mich, zum Schutz davor rasch die Augen zu schließen und fest geschlossen zu halten; es war zu grell, unerträglich grell. Aber ich wusste, ich musste das Licht in mich aufnehmen, und zwar so schnell ich irgend konnte. Ich tat es, und das grelle Weiß schien mein bewusstes Sein auszulöschen. Magische Energie flutete mich, als hätte endlich jemand den Hauptschalter für die Energieversorgung umgelegt.
Meine Hand im Schädel des Mahrac kribbelte plötzlich.
Das Kribbeln lief von der Hand den Arm hinauf. Ich konnte das Wesen des Mahracs spüren, es beinahe
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