Hale 1 Piraten der Liebe
ihm auftäte und ihn verschlänge. Ihre kleine Hand legte sich eindringlich auf seinen Arm.
»Bitte, bringen Sie mich zu den anderen. Bitte! Mein Vater ist ein reicher Mann. Er wird viel dafür bezahlen, mich zurückzubekommen... unversehrt. Oder, wenn sie mich einfach in eins von den kleinen Booten setzen würden...« Ihre Stimme brach. Harry schluckte, und es war ihm unmöglich, in ihre flehenden Augen zu sehen.
»Ich kann nichts für Sie tun, meine Dame. Es tut mir leid. Es erginge mir sehr schlecht, wenn ich mich den Anordnungen des Kapitäns widersetzen würde.«
Er legte eine Hand auf ihren Rücken und schob sie sanft in den Raum. Sie machte ein paar widerwillige Schritte nach vorn, dann drehte sie ihm ihr Gesicht zu. Harry war durch die Angst in diesen großen Augen tief berührt.
»Sehen Sie, meine Dame«, sagte er beinahe verzweifelt, »Kapitän Hale ist kein Heiliger, aber ein Teufel ist er nun auch wieder nicht. Ich bin seit acht Jahren mit ihm zusammen, und ich habe niemals erlebt, daß er einer Frau etwas zuleide getan hätte. Es wird Ihnen nichts zustoßen.«
»Vielen Dank«, sagte sie plötzlich bitter und drehte ihm den Rücken zu. Offensichtlich erwartete sie von ihm, daß er ging. Mit einem hilflosen Blick zog sich Harry zurück, schloß die Tür und schob von außen einen Riegel vor.
Cathy hörte benommen, wie sich der Bolzen vor die Tür legte. Sie konnte nicht glauben, daß dieser Alptraum tatsächlich passierte. Sie schluchzte, aber dann wurde ihr klar, daß ihr das nichts helfen würde. Es gab niemanden, der darauf hörte oder ihr helfen konnte. Sie straffte ihre Schultern und fing an, den Raum auf Fluchtmöglichkeiten hin zu untersuchen. Es war sehr dunkel, und sie hatte Mühe, die Streichholzschachtel, die auf dem Tisch lag zu finden. Mit zitternden Händen zündete sie eine Kerze an. Die Kabine war ziemlich klein, damit so wenig wie möglich von dem so wertvollen Lagerraum verlorenging.
Die Wände waren mit dunklen Holzpaneelen verkleidet und hatten eingebaute Bücherregale. Davor befanden sich Glasscheiben, damit die Sachen bei rauher See nicht durcheinander fliegen konnten. Das schmale, harte Bett war ordentlich gemacht. Neben dem Bett standen ein runder Tisch mit zwei Stühlen, ein Schrank, ein Kohle-ofen und einige Seekisten, die an der Wand aufgetürmt waren.
Der einzig mögliche Ausstieg war ein kleines Glasfenster. Cathy lief zu ihm hinüber, fingerte an dem Schloß herum und öffnete es dann weit. Kalte, weiße Gischt traf ihr Gesicht, und sie bemerkte zu ihrer Enttäuschung, daß sie sich direkt über der dunklen See befand. Der Wind hatte das Wasser in große Wellen verwandelt, die machtvoll an die Bordwand schlugen. Cathy erschauerte und wich ein wenig zurück. Aber sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
In einiger Entfernung konnte sie Dutzende von kleinen Lichtern auf und ab hüpfen sehen. Die Fregatten! Sie waren immer noch da draußen und wagten es nicht, zu nahe zu kommen. Cathy atmete erleichtert auf. Sie mußte nur eine kleine Weile durchhalten, dann würde man sie retten. Das Piratenschiff konnte seinen Verfolgern nicht ewig entkommen! Durch die Gischt war ihr Kleid naß geworden, und Cathy wendete sich vom Fenster ab. Die Kälte und die feuchte Luft ließen sie frösteln. Am liebsten hätte sie sich jetzt entkleidet, sich in einem heißen Bad erholt, ein Nachthemd übergezogen, und dann wäre sie ins Bett gekrochen. Aber weder ein Bad noch ein Nachthemd waren in Sicht. Und sogar wenn beides vor ihr gestanden hätte, würde sie nichts davon benutzt haben. Es bestand kein Zweifel, warum der Kapitän sie in seiner Kabine eingeschlossen hatte. Bis zu ihrer Rettung durch die Fregatten mußte sie ihn auf Armeslänge halten. Würde er sie bei seiner Ankunft in der Kabine frisch gebadet und gemütlich in seinem Bett liegend finden, wäre ihr weiteres Schicksal vollkommen klar. Sie war zwar unschuldig, aber das wußte nur sie.
Cathy machte einen Kompromiß. Sie schlüpfte aus ihrem nassen Kleid und hängte es zum Trocknen über einen Stuhl. Über Nacht konnte es dort hängen, und am nächsten Morgen würde sie es gleich als erstes überziehen. Das zerrissene Mieder konnte sie mit der starken Nadel Zusammenhalten, die sie auf einem kleinen Tellerchen neben der Streichholzschachtel gesehen hatte. Sie zitterte in ihrem dünnen Hemd und lief hastig zum Bett. Sie nahm eine Decke herunter und wickelte sich darin ein, um sich aufzuwärmen. Ihre Augen suchten in
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