Halloween
drohend über dem Kopf erhoben, die langen Hände in Klauen verwandelt, und reißt den Mund weit auf wie ein Tiger, um ihr seine Vampirzähne aus Plastik zu zeigen.
Es ist ein Scherz, doch einen Augenblick lang ist sie wirklich entsetzt und weicht zurück, unsicher, was genau vor sich geht. Sie sollte lachen, weil er lacht, also tut sie es auch und fragt sich, warum einige Verbindungen noch funktionieren, während andere für immer zerstört sind. Wie oft hat sie im letzten Jahr zu hören bekommen, dass das Gehirn ein Rätsel ist?
«Willst du Peggy damit Angst einjagen?»
«Hm-hm.» Er ist gut gelaunt, und sie freut sich für ihn – jegliche Freude ist in diesem Haus willkommen. Aber als Mutter befürchtet sie unwillkürlich, dass er die Zähne zu lange im Mund lässt und daran erstickt, und als sie in der Diele auf den Bus warten, verdirbt sie alles, weil sie sagt, er solle bitte, bitte vorsichtig damit sein.
Draußen zuckeln die Schüler nach und nach zur Bushaltestelle an der Ecke, gebeugt unter der Last ihrer Rucksäcke. Sie erinnert sich an Kyle in jenem Alter und beneidet die Eltern. Sie beneidet alle Leute, das ist ein Teil des Problems; durch eine Laune des Schicksals gehört ihr Leben nicht mehr ihr selbst, obwohl siegrößtenteils noch derselbe Mensch ist. Morgen könnte sie mit einem anderen Ehemann, anderen Kindern, in anderen Verhältnissen auf Cape Cod erwachen, ihr Leben an sie zurückgegeben. Nicht perfekt, aber darum geht es ihr nicht, bloß etwas Erträgliches. Und plötzlich ist sie über sich selbst empört angesichts dessen, was dieser Gedanke beinhaltet. Kyle ist am Leben; sie muss dankbar sein, besonders heute. Aus diesem Grund wird sie zu dem Baum fahren.
(Und so schnell, wie wir gegen den Baum geprallt sind, geht sie plötzlich durch, wer noch im Wagen gesessen hat, eine kurze Wiederholung, die ihr in den Sinn kommt wie eine dieser Eselsbrücken, die man benutzt, um sich etwas für eine Klassenarbeit einzuprägen.
Es geht hurtig durch Fleiß.
Tim und Danielle, Marco, Chris.
Toe, sagt Toe. Ich heiße Toe.)
Sie will etwas dort lassen, aber was und für wen? Sie denkt an unsere Eltern, daran, wie sehr sie uns vermissen müssen. Manchmal ist es am besten, sich einfach zu erinnern.
(Es ist echt zum Kotzen, tragisch zu sein. Es ist wie berühmt sein. Die Leute lassen einen nicht in Ruhe.)
Peggy ist spät dran und hält in dem Blätterhaufen am Rand des Rasens. Während Kyle die Einfahrt hinuntertrottet, winkt sie in einem Hexenhut Kyles Mom durch die offene Tür zu, und Kyles Mom winkt zurück, ihr erster Kontakt mit der Außenwelt.
Jagt Kyle ihr Angst ein? Lachen Peggy und die anderen im Bus?
Der Bus ist zu weit weg, um es erkennen zu können. Kyle setzt sich auf den ihm zugewiesenen Platz, und Peggy schlägt die Tür zu. Sie fährt los und überholt den Schulbus, der an der Ecke halten muss. Das durchdringende Quietschen der Bremsen versetzt Kyles Mom in Aufregung, der alte Reflex lässt sie nicht los – Kyle muss rennen, wenn er den Schulbus noch erreichen will.
Sie macht die Haustür zu und schließt ab – wovor will sie sich schützen?
Vor der Welt. Dem Tag. Der
Courant
liegt auf dem Küchentisch, aber die Nachrichten bedeuten ihr nichts. Kriege und Anzeigen für Esszimmergarnituren. Sie steigt wieder die Treppe hinauf, schwerfällig, da sie uns alle mit sich herumschleppt. Im Bad dreht sie das Wasser an und hängt ihren Morgenrock auf.
(Wir können nicht hingucken – Mann, es ist Kyles Mom –, aber wir können uns nicht schnell genug abwenden. Danielle setzt sich aufs Klo. Toe versucht, sich im Spiegel zu entdecken. Shampoo, auswaschen, Pflegespülung. Sie hat es gern heiß, und der Dampf wälzt sich über die Rauputzdecke, beschlägt das kalte Fenster, läuft hinunter und hinterlässt klare Streifen, durch die man die Kiefern vorm Haus sehen kann.
Macht euch fertig, sage ich, denn wir sind schon so lange mit ihr zusammen, dass wir wissen, was als Nächstes kommt. Das ist ihre Belohnung dafür, dass sie ein weiteres Mal aufgewacht ist und darauf vertraut, so tun zu können, als wäre alles normal. Sie ist sauber und stellt die Düse auf Massagestrahl ein, kehrt der Brause den Rücken zu, lässt mit geschlossenen Augen den Kopf hängen, und der Strahl wärmt ihr das Rückgrat. Die Dusche wäscht den Morgen und die Vergangenheit von ihr ab, verwandelt die Gegenwart in eine dunkle Ruhe, nur das Trommeln des Wassers in der Wanne, wie Sommerregen, der durch ein Abflussrohr
Weitere Kostenlose Bücher