Halloween
sollte er den ganzen Tag tun?
«Versteh mich nicht falsch, aber von meinem Standpunkt aus kannst du dir nicht leisten, es nicht zu tun. Im Ernst.»
«Versteh schon.»
«
Ich
kann es mir nicht leisten.»
«Ich weiß», sagt Brooks. Am liebsten würde er versprechen, dass er sich in Zukunft am Riemen reißt, dass er da ist, wenn Saintangelo Unterstützung braucht, aber im Moment ist er dafür zu stolz. Er hat sich angezogen, und ihr Gespräch ist beendet. «Bis heute Abend.»
«Ja», sagt Saintangelo.
Blödes Arschloch, denkt Brooks und drückt die Tür auf, der gibt ihm keine Chance. Aber das stimmt nicht, sie haben ihn das ganze Jahr lang gestützt. Jede Nacht, Schicht um Schicht, versucht er das zu vergessen, versucht er sich rein zu waschen. Es ist nicht Saintangelos Schuld, dass es nicht geklappt hat.
(Und es ist lächerlich. Was für ein Schlappschwanz muss man sein, dass ein Wagen voll zerfetzter Jugendlicher einem nicht aus dem Kopf geht? Das gehört zu seinem Job – Herrgott, Brooks muss den Unfallhergang rekonstruieren, er kriegt eine Zulage, weil er Fotos macht und nachmisst, wie weit die Toten aus dem Wagen geschleudert wurden. Bevor wir auftauchten, hat es ihm immer gefallen, zur Unfallstelle zu brausen und unter dem gelben Band durchzutauchen, seine zitternde Silhouette vom Blaulicht in die Bäume geworfen, sein Körper voller Adrenalin. Solange es nicht deine Schuld ist, ist alles einfach.)
Im Flur bleibt Brooks vor dem Dienstplan stehen und schiebt die Magnetscheibe mit seinem Namen in die DIENSTFRE I-Spalte . Der Chef ist da, und Brooks macht einen Bogen um dessen Büro, schleicht sich hinten raus, an den Recyclingabfällen vorbei, zu seinem Pick-up. Einer der neuen Tahoes mit stärkerem Motor rollt vorbei – Phil Eisenmann, junger Bursche. Brooks hatacht Jahre gebraucht, um in die Tagschicht zu kommen; jetzt kann er bloß winken, als der Junge losfährt.
Während Brooks den Pick-up warm laufen lässt, fragt er sich, ob schon alle von letzter Nacht wissen, ob sich das Ganze auf dem Revier rumgesprochen hat. Vielleicht beraumt der Chef gerade eine Besprechung an und redet mit dem Bürgermeister, um zu sehen, mit was für einer Abfindung sie davonkommen können, der gute alte goldene Händedruck. Brooks beschließt, nicht zu warten und es rauszufinden.
Die 44 ist vom Stoßverkehr überflutet, in Richtung Osten stauen sich die Wagen bis hinter den Stub Pond. Brooks biegt ab und schlängelt sich durch das ruhigere Gewirr der Seitenstraßen, wartet hinter einem blinkenden Schulbus, wo ein Junge, der sich als Nomar verkleidet hat, am Notausstieg mit dem Handschuh gegens Fenster schlägt. Als Brooks noch klein war, waren die Busse rund wie Airstream-Wohnwagen, damals wollte er immer Yaz sein, und hier war noch überall Wald.
(Der verträumte Brooks zieht sich – wie wir? – in die idyllische Welt seiner Kindheit zurück. Wir haben ständig Lust, anzuhalten und uns an den Häusern und Straßen zu erfreuen, die wir kennen, an dem Campingtisch vor der Bücherei, in den unsere Initialen geritzt sind, dem Weg hinter den Tennisplätzen, zwischen den Kiefern durch, der Zax-Gemischtwarenhandlung, wo wir uns nach der Schule immer eine große Tüte Doritos kauften.
Diese Liebe ist nicht gerechtfertigt; das liegt bloß daran, dass so viel Zeit verstrichen ist. Als wir hier lebten, haben wir nie gesagt: Ist das nicht toll? Wir hatten zu viel zu tun, oder nicht genug oder was auch immer; es war bloß eine beliebige Gegend und – da kannst du all unsere Freunde fragen – todlangweilig. Es ist noch immer todlangweilig, aber was ist uns sonst geblieben? Wir vermissen alles. Dir würde es genauso gehen.)
Der Bus biegt an meiner Straße, dem Oxbow Drive, ab, und danach sieht Brooks nur noch Autos mit Vätern, die aus der anderenRichtung kommen und Gas geben, um Zeit aufzuholen, in der Hoffnung, dass auf der 44 kein Stau ist. (Nicht Kyles Dad, er ist seinem Zeitplan voraus und schon über den Berg, schiebt sich durch West Hartford.) Mütter in pastellfarbenen Trainingsanzügen machen paarweise Walking und reden dabei mit den Händen. Eine jüngere joggt mit aufgesetztem Kopfhörer (Mrs. Lindsay, die wir immer verstohlen im Schwimmbad beobachteten, wobei wir so taten, als würden wir schlafen). Die Häuser stehen stumm und unergründlich da, zurückgesetzt von der Straße wie Herrenhäuser. Hier, allein und ohne Uniform, während er an den gepflegten zweistöckigen Häusern vorbeifährt, hier fühlt Brooks
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