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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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beherrscht, ein anderer Mensch, so wie eine Schauspielerin sich verändert, sobald sie die Bühne betritt. «By the Light of the Halloween Moon», verkündet sie und hält den Einband hoch, damit alle ihn sehen können. Sie liest und beschwört mit hexenhaft gekrümmtem Finger Dämonen und Feen herauf, damit sie die Ausschneidefiguren an die Tafel heften können. Während sie mit dem Weiterlesen wartet, bis sie fertig sind, betrachtet sie die Masken und angemalten Gesichter, die Kinderaugen auf sie gerichtet, und zum ersten Mal kann sie sich erinnern, ohne zu wünschen, diese perfekten, makellosen Kinder gehörten ihr. In diesem kostbaren, schlichten Augenblick gehört sie ihnen.
     
    Er träumt gerade, er würde mit dem siegreichen Quarterback vom letzten Super Bowl in den Fluren eines schicken HotelsWiffleball spielen, als neben seinem Kopf das Telefon klingelt. Das gibt’s doch nicht! Es ist ein Reflex, und obwohl der Anrufbeantworter an ist, greift er im Halbschlaf nach dem Hörer.
    Es könnte sich um Gram handeln; er soll jedes Mal benachrichtigt werden, wenn sie wegen ihrer Schwindelanfälle in die Notaufnahme gebracht wird. Es könnte der Polizeichef sein, um Brooks zu sagen, dass er nicht mehr zu kommen braucht, oder Melissa, die sich fragt, wo diesen Monat ihr Scheck bleibt, Charity, die einen Termin für die nächste Hausbesichtigung vereinbaren will. Er hat auf der Seite gelegen, die Hand unter die Wange geschoben, und seine Finger fühlen sich an wie Gummi. Er muss sich in die andere Richtung wälzen, um seinen Arm aus den Laken zu befreien.
    «Hallo?»
    Die Leitung bleibt stumm, totenstill, dann klickt es, und die Verbindung ist abgerissen. Sie haben ihn schon wieder verarscht. (Es ist nicht Kyle, wie Toe denkt, bloß Travis und Greg von Gregs Handy aus, sie glauben, dass wir das gut finden.)
    «Ihr kotzt mich an», sagt Brooks zu niemand Bestimmtem und lässt sich erschöpft in die Kissen zurücksinken. Er macht sich nicht die Mühe, den Anruf zurückzuverfolgen, blickt nicht auf die Uhr, aus Angst davor, wie spät es schon sein könnte. Die Innenseiten seiner Augenlider sind gleitende rote Bildschirme. Er vergräbt den Kopf und streckt sich flach aus; er fühlt sich, als hätte ihn eine Dampfwalze überrollt, und letzte Nacht fällt ihm wieder ein, ein Schuh, der auf sein Gesicht zielt – die Arschlöcher –, aber er ist völlig geschafft und kann nicht wütend sein, kann das Ganze bloß antippen, fast froh, dass er sich erinnert, ein letzter Zufallstreffer bei einer verwirrenden Frage.
    Er grunzt und wälzt sich herum, reibt sich die Nase und kratzt sich mit geschlossenen Augen am Hintern, wirft den Kopf von einer Seite zur anderen, liegt dann reglos da und versucht, den Schlaf zu erzwingen. Er hat irgendwas geträumt, mit Türenund langen Fluren, einer mit Teppichboden ausgelegten Treppe und einem geschwungenen Messinggeländer. Er bemüht sich, den Kopf leer zu bekommen, um wieder in den Traum einzutauchen, und sein Verstand arbeitet rückwärts und dann gar nicht mehr. (Wir beobachten, wie sein Mund erschlafft, seine Augen unter den Lidern hin und her rollen. Schließlich atmet er nur noch ganz ruhig.)
    Und dann klingelt wieder das Telefon.
     
    Tim macht die Erfahrung, dass nichts wie damals ist. Das ist auch unmöglich, ein Jahr später; sein Stundenplan hat sich geändert, und seine Freunde sind tot. Allein schon im Flur zu stehen ist wie eine Zeitreise, wie ein Museumsbesuch. Als er in der Pause das Gedränge zwischen den Spinden beobachtet, hat er das Gefühl, das Ganze wird ihm zuliebe aufgeführt, nachgestellt wie beim Drehen eines Films. Aber alles ist ein bisschen ungenau, verfälscht. Wenn er die falsche Tür öffnete, würde er ein Zimmer voller Statisten erblicken, deren Schminke aufgefrischt wird. Und dann denkt er, das Gegenteil stimmt –
er
ist unwirklich, ein Geist, der in ihrer Mitte wandelt, ein verkleidetes Monster,
I Was a Teenage Frankenstein.
    So hat er sich an dem Tag nach dem Unfall gefühlt, und dieses Gefühl ist er nicht mehr losgeworden. Es ist wie in
Final Destination
. Es ist ein Fehler passiert; er sollte in jener Nacht sterben, einer von uns.
    Er weiß, dass die meisten Leute das insgeheim denken. Es ist nicht fair, dass er ungeschoren davongekommen ist. (Ich geb’s zu, wir denken das auch; wir gehören zusammen, ein Team.) Er hat die schlimmsten Gerüchte gehört – dass er betrunken war und Toe nach dem Unfall auf den Fahrersitz gesetzt, dass er Danielle als

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