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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Lehrer ihre Lehrpläne durchgehen. Kyles Bilder hängen an der Wand wie im Kindergarten, signiert mit einer sauberen weiblichen Handschrift.
    «Das ist nett, bloß wir beide», sagt er und rettet sie. «Das sollten wir öfter tun.»
    Sie pflichtet ihm bei, obwohl sie nicht genau weiß, was das bedeutet, ob es ihrerseits ein Zugeständnis ist, eine Rechtfertigung seiner Art, den Dingen aus dem Weg zu gehen. Wieder verdrängt sie den Gedanken, streckt die Hand über den Tisch und ergreift seine. Sie darf diese Verbindung zu ihm nicht verlieren. Plötzlich hat sie das Gefühl, dass er alles ist, was sie noch hat.
    «Ich glaube, ich habe genug Wein getrunken», witzelt sie.
    «Ich sehe, mein Plan funktioniert.»
    «Nicht wenn ich vorher ohnmächtig werde.»
    «Bestell lieber einen doppelten Espresso.»
    Es ist witzig, aber ihr ungezwungenes Geplänkel übertüncht bloß die Tatsache, dass sie schon wochenlang nicht mehr miteinander geschlafen haben. Wovor können sie sonst noch die Augen verschließen?
    Als der Kellner zurückkehrt, um ihre Bestellung aufzunehmen, ziehen sie die Hände zurück, als wäre er ein Anstandswauwau. Er eilt davon, und sie streckt die Hand wieder aus. Kyles Dad ist überrascht, lässt es aber zu. Diesmal wird sie nicht aufgeben, wird ihren Kummer verdrängen. An manchen Abenden war sie zu müde, aber dieser Tag ist zu wichtig. Sie denkt an ihrenKranz an dem Baum, daran, dass alle Leute ihn sehen. (Ja, vielen Dank auch, Kyles Mom.) Sie weiß nicht, warum ihr dieser Gedanke gekommen ist. Vielleicht ist es ihre Art, dieses Vorher hinter sich zu lassen, es zur letzten Ruhe zu betten, falls das überhaupt möglich ist (und plötzlich steht der echte Kyle neben ihr und legt ihr die Hand auf die Schulter). Vielleicht ist es nicht möglich. Vielleicht soll es nicht sein.
    Sie reden über sein Büro, sie reden über das bevorstehende Wochenende. Er fragt nicht, ob sie heute dorthin gefahren ist, und sie versteht. Sie müssen vorsichtig sein.
    Schließlich kommt ihr Dessert. Sie lehnen sich zurück, um dem Kellner genug Platz zu geben, damit er die Teller hinstellen und neue Gabeln dazulegen kann. Ihr Espresso in der knochenweißen Mokkatasse ist dickflüssig wie Farbe, daneben ein Zitronenschnitz und ein Stück Schokolade. Sie findet ihn schlicht und vollkommen, eine Freude getrennt vom Rest der Welt, als könnte sie eine Auszeit nehmen, ihre Empfindungen anhalten, um sie zu würdigen, doch schon als sie den ersten bitteren Schluck trinkt, vermischt sich der Geschmack mit dem Tag, dem Baum, dem Kranz, und sie begreift, dass sich nichts ändern, dass sie trotz aller Bemühungen immer dieselbe bleiben wird, derselbe verletzte Mensch, den sie nicht ausstehen kann und bedauert.
    «Wie ist er?», fragt er.
    Einen Augenblick lang versteht sie nicht, so sehr ist sie in ihre Gedanken vertieft, dann lächelt sie, um sich über ihre Flatterhaftigkeit lustig zu machen, und benutzt den Wein als Vorwand. Sie schiebt ihm die Tasse hin. «Probier mal.»
     
    Es gibt Augenblicke, die wir dir nicht vorführen, Dinge, die wir aus persönlichen Gründen auslassen. (Erbarmen, Geist, zeig mir nichts mehr!) Danielles Schwestern haben sie den ganzen Tag lang zu sich gerufen, unsere Eltern und Großeltern haben uns einen nach dem anderen herbeizitiert. Wir können nichts für sietun. Aber inzwischen hast du es rausgefunden: Wir sind Besucher, unsere Macht ist begrenzt. Wie Tim, wie der echte Kyle – wie Brooks, auch wenn er es nicht weiß – haben wir eine Mission. Wir haben unsere Helden gewählt, hoffen, dass sie sich behaupten (haben Angst, dass sie scheitern), und jetzt haben wir sie am Hals.
    Toe hat Recht, sie sind langweilig, zumindest einige. Das Leben ist langweilig. (Verglichen womit?, fragt Danielle.) Im Moment sortieren Tim und Kyle Papiertaschentücher ein und bauen aus den Packungen eine Mauer. Brooks fährt zu seinem Einsatz und fragt sich, ob er den Hunden genug Wasser gegeben hat. Kyles Dad rechnet das Trinkgeld aus. Die Küche macht zu, und die Geschirrspülmaschine läuft zum letzten Mal.
    Im Country Club ist die Kostümparty in vollem Gang, eine Squareband spielt für Leute, die nicht tanzen können, «Superfreak» nach, während ein Pilgervater auf den Golfplatz kotzt. Ansonsten geht Avon für diesen Abend zur Ruhe und klappt die nicht vorhandenen Gehsteige hoch. Die Zapfsäulen von Mrs. M.s Tankstelle liegen im Schatten. Eine Zeituhr betätigt einen Schalter, und die rote Ampel bei der

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