Halo - Tochter der Freiheit
glücklich zu sein, dass sie endlich wieder aus der Stadt herausgekommen waren und sich hier in der Frühlingssonne balgen durften.
Borgas und ein weiterer Ausbilder standen am Ufer und zeigten einer Gruppe größerer Jungen, wie sie ihre Marschausrüstung bei Flussdurchquerungen trocken halten konnten. Borgas selbst ging nicht gern ins Wasser.
Doch dann rutschte einer von Halos Jungen aus, fiel ins Wasser und wurde mitgerissen. Sie drehte sich zu ihm um – er schien keinen Halt mehr finden zu können. Und er war schon weit draußen. Halo watete schnell zu ihm hinüber, doch bevor sie ihn erreichen konnte, wurde er von der Strömung gepackt und fortgetragen. Sein Schrei ging im Brausen des Flusses unter.
Aber Halo war fast bei ihm. Instinktiv tauchte sie in die reißenden, zischenden Fluten und begann zu schwimmen. Die Kälte traf sie wie ein Schlag. Sie kämpfte sich mit aller Kraft durch die Strömung, bekam den Kleinen endlich zu fassen und schwamm mit hektischen Fußbewegungen durch die Strömungswirbel. Das Blut pochte in ihrem Körper; ihr Kopf war bereits unter Wasser, es drang ihr in Nase und Augen. Aber Halos Schwimmbewegungen waren stark genug, sodass sie schräg zur Strömung mit ihrer Last allmählich aus der Gefahrenzone gelangte. Dennoch musste sie mit aller Kraft kämpfen; sie stieß und strampelte wild mit den Füßen, während sie immer weier flussabwärts mitgerissen wurden. Und plötzlich befanden sie sich in ruhigerem Wasser. Halo paddelte an Land und schüttelte sich wie ein Hund das Wasser aus den Haaren. Keuchend und spuckend kam sie auf die Füße. Der kleine Junge lag erschöpft in ihren Armen. Sie blickte sich um, während sie nach Luft rang. Es war, als hätte der blassgrüne Fluss sie beide widerwillig ausgespuckt.
Aber der Fluss hatte sie auf der falschen Uferseite ausgespuckt.
Vorsichtig, mit dem weinenden Jungen auf den Armen, stieg sie ein Stück weit die Uferböschung hinauf. Dort setzte sie den Kleinen ab, kniete neben ihm nieder und drückte den schniefenden und vor Kälte zitternden Jungen tröstend an sich. Sie sah den Rest ihrer Gruppe nicht sehr weit entfernt in der Nähe des anderen Ufers im Wasser stehen. Alle starrten herüber. Auf der Böschung stand Borgas. Auch er starrte sie an.
Durchdringend.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass ihr Chiton patschnass an ihrem Körper klebte. Hastig zog sie den nassen Stoff von ihren Schenkeln.
Borgas kniff die Augen zusammen.
Was er am anderen Ufer sah – schmächtig, bekleidet, aber vollkommen durchnässt und mit einem weinenden Kind im Arm –, kam ihm keineswegs wie ein Junge vor.
Und was Halo heraufziehen sah, war das Ende ihres Geheimnisses.
Sie überdachte blitzschnell ihre Lage. Bot sich hier vielleicht eine Gelegenheit?
Jetzt oder nie, dachte sie.
Also jetzt!
Sie grinste, wuschelte dem Jungen kurz durch die Haare, drehte sich um und rannte davon.
Sie hörte Borgas wütend hinter ihr her brüllen. Aber sie wusste, dass er sich nicht in die reißenden Fluten wagen würde, um sie zu verfolgen, und das galt auch für den anderen Ausbilder. Nur ein Mensch, der sich in die Enge getrieben fühlte oder einem Überlebensinstinkt folgte, würde sich in diesen eiskalten, donnernden Fluss stürzen.
Sie lief – immer weiter weg vom Fluss, den Hügel hinauf, auf den Wald zu und in den Wald hinein.
Ohne langsamer zu werden, rannte sie durch den Wald. Doch nach einer Weile hörte sie den dumpfen Klang von Schritten. Einen Augenblick lang packte sie die Furcht – doch dann schoss ihr durch den Kopf, was ihr Leonidas über die Furcht gesagt hatte; was Furcht bewirken konnte, aber auch, wie man sie zum eigenen Vorteil nutzen konnte.
Halo nutzte ihre Furcht und ließ sich von ihr zu noch schnellerem Lauf antreiben. Von Verzweiflung gepackt, änderte sie leicht die Richtung und lief in den Teil des Waldes, in dem die Bäume dichter standen.
Dann ging es abwärts. Ein schmaler Taleinschnitt, bewachsen von einem Dickicht.
Ein Fluss! Und auf der anderen Seite ein umgestürzter Baum, der halb im Wasser lag, sodass sich ein kleines Becken mit stillem Wasser gebildet hatte. Sie konnte Frösche quaken hören.
Aber die Schritte waren noch immer hinter ihr, und sie kamen näher.
Dort, wo der Baumstamm aus dem Wasser und auf das Ufer ragte … konnte sie sich dort vielleicht verstecken?
Sie warf sich flach auf den Bauch, mitten in die dicht stehenden Farnwedel, die das schlammige Ufer bedeckten. Keuchend lag sie da, halb im Wasser, und
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