Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
geblieben.
Ein plötzlicher Ruck, als der Mann vom Ast sprang. Wenn er vom Ast gesprungen war, wie war er da hochgekommen? War er die zwei Meter hinaufgeklettert? Vielleicht.
Ich schloss die Augen und rief mir noch einmal das Bild vor Augen, wie der Mann am Baum gehangen hatte. Der Knoten war im Nacken gewesen, nicht an der Seite. Das passte nicht zu diesem einseitigen Bruch. Ich würde mir Millers Fundortfotos noch einmal anschauen müssen.
Konnte Erhängen die Halsverletzung des Dewees-Opfers erklären? Hatte auch dieser Mann Selbstmord begangen?
Vielleicht. Aber der Kerl hatte sich mit Sicherheit nicht sein eigenes Grab geschaufelt.
War Emma auf der richtigen Spur? Konnte es sein, dass sich der Mann auf Dewees umgebracht hatte und dann von einem Freund oder einem Angehörigen vergraben worden war? Warum? Scham? Keine Lust, die Bestattungskosten zu bezahlen? Angst, die Versicherung würde nicht zahlen? Das erschien mir unwahrscheinlich. Es dauerte Jahre, bis man eine Person für tot erklären lassen konnte.
Konnte es sein, dass der Dewees-Fall wirklich nichts anderes war als die illegale Entsorgung einer menschlichen Leiche?
Ich ging alternative Erklärungen für die einseitige Halsverletzung durch, die ich an dem Mann vom Baum sah. Dieselben Erklärungen, die ich mir auch bei dem Mann von Dewees überlegt hatte.
Sturz? Strangulation? Peitschenhieb? Schlag an den Kopf?
Angesichts der Art der Verletzung und ihrer Lage ergab nichts einen Sinn.
Ich überlegte noch immer, als Emma durch die Tür stürzte.
»Wir haben ihn.«
Ich schaute vom Mikroskop hoch.
Emma schwenkte einen Ausdruck in die Richtung des Skeletts. »Gullet hat die Fingerabdrücke durchs AFIS laufen lassen.« Das Automatisierte Fingerabdruck-Identifikations-System. »Unser Knabe ist sofort aufgetaucht.«
Der Name, den sie nun nannte, fegte mir die Gedanken über Wirbelbrüche völlig aus dem Hirn.
12
»Noble Cruikshank.«
»O Gott.«
Falls meine Reaktion Emma überraschte, ließ sie es sich nicht anmerken.
»Cruikshank war früher mal Polizist in Charlotte-Mecklenburg. Aber das ist nicht der Grund, warum er im System war. Natürlich nimmt man Polizeineulingen schon auf der Polizeiakademie die Fingerabdrücke ab, aber die bleiben intern. Cruikshank wurde 1992 wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss verhaftet. Darum war er im AFIS.«
»Bist du sicher, dass es Cruikshank ist?« Blöd. Ich kannte die Antwort auf diese Frage.
»Übereinstimmung in zwölf Punkten.«
Ich nahm den Ausdruck und las Cruikshanks wesentliche Merkmale ab. Männlich. Weiß. Größe eins siebenundsechzig. Siebenundvierzig Jahre alt.
Mein Skelettprofil passte ebenfalls. Der Zustand der Leiche entsprach einer Exponierung von zwei Monaten. Natürlich war es Cruikshank.
Noble Cruikshank. Buck Flynns verschwundener Detektiv.
Ich betrachtete das Foto. Auch wenn es eine grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahme war, vermittelte es doch einen Eindruck von dem Mann.
Cruikshanks Gesicht war pockennarbig, die Nase höckerig, die Haare waren glatt nach hinten gekämmt und an den Enden aufgerollt. Die Haut an Wangenknochen und Unterkiefer war bereits etwas schlaff, und vermutlich hatte er weniger Fleisch auf den Knochen, als ihm recht gewesen wäre. Dennoch verströmte er die perfekte Macho-Aura.
»Noble Cruikshank. Na, so was.«
»Du kennst ihn?«
»Nicht persönlich. Cruikshank wurde vierundneunzig aus der Truppe entlassen, weil er sich mit Jimmy Beam eingelassen hatte. Er arbeitete als Privatdetektiv, als er im letzten März verschwand.«
»Und du weißt das, weil …?«
»Erinnerst du dich noch an Pete?«
»Dein Ehemann?«
»Mein von mir getrennt lebender Ehemann. Pete wurde engagiert, um gewisse Finanztransaktionen bei der GMC zu untersuchen und gleichzeitig Recherchen über das Verschwinden der Tochter des Mandanten anzustellen, die sich mit dieser Organisation eingelassen hatte. Bevor Buck Flynn, das ist der Mandant, Pete engagierte, hatte er Cruikshank angeheuert. Und im Verlauf dieser Ermittlungen verschwand Cruikshank.«
»Pete ist doch Anwalt.«
»Das habe ich auch gesagt. Pete ist Lette. Flynns Mutter war Lettin. Flynn vertraut ihm, weil er zum Clan gehört.«
»Flynns Tochter ist hier verschwunden?«
»Vermutlich. Cruikshanks Spezialität waren vermisste Personen, und seine Arbeitsgebiete waren Charleston und Charlotte. Helene Flynn, so heißt die Tochter, war Mitglied der GMC, und Flynn war einer der wichtigen Mäzene dieser Kirche.«
»Aubrey Herron. Der
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