Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
Sie schielte zu Nevin, doch diese lächelte
harmlos und schien nichts gehört zu haben. Sofort gewann Latife wieder die
Oberhand, ruckelte mit einer Stell-dich-nicht-so-an-nix-passiert- Geste
mit dem Kinn in Richtung von Kadirs Tischnachbarin, worauf sich sein Pantoffel
noch stärker auf ihrem Fuß abstützte.
»Stell
dich nicht so an, mein ...«, Latifes Augenbrauen hoben sich herausfordernd und
sie formte mit den Lippen lautlos den verbotenen Kosenamen, bevor sie
weitersprach: »... mein Sohn! Hat man so etwas schon gehört! Yusuf, Schwager,
hast du es auch gehört? Mein einziger Sohn will Geheimnisse vor mir haben, bah,
was kann schon so wichtig und geheimnisvoll an dieser Ausländerin sein, dass du
deine Familie im Stich lässt?«
»Oh,
Latife teyze , das ist aber ein bisschen hart gegenüber Kadir! Ich muss
mich auch an mein ärztliches Schweigegelübde halten und ...«
»Papperlapapp!
Hast du mir nicht neulich am Telefon ausführlich von Ayse Dogulus ... wie
heißen die Dinger? ... an ihren Eierstöcken erzählt, nachdem ich dich gefragt
hatte? Wochenlang,« erklärte Latife den Männern am Tisch, »sitzen wir jeden
Morgen draußen vor der Tür beisammen, Hatun, Ayse und ich, teilen unsere Sorgen
und unsere Freuden und unsere Sonnenblumenkerne, wobei ich nicht verstehe,
warum Ayse immer diese billige Sorte kauft, die ganze Tüte ist voll Schalen,
weiß der Himmel, wo die Kerne sind, manchmal frage ich mich, ob sie sie vorher
rauspuhlt, nur um uns zu ärgern! Und Ayse ächzt und stöhnt und tut geheimnisvoll,
als hätte sie ein so schweres Leiden, dass man schon den Leichenbestatter
informieren sollte. Und dann erfahre ich, dass Nevin ihre Ärztin ist!«
Latife
kicherte schelmisch, fuhr dann aber unwirsch fort:
»Los,
Kadir, dein Vater hat dich etwas gefragt! Antworte ihm! Was ist geschehen?«
»Nun,
das meiste dürftet Ihr schon erfahren haben. Jemand hat auf ziemlich geschickte
Art und Weise einen tödlichen Draht in eine Röhrenrutsche gespannt und eine
deutsche Touristin ist so zielgenau auf diesen Draht zugerutscht, dass ihr Kopf
abgetrennt wurde. Mann kann bisher wenig über sie sagen, sie schien eine
typische Touristin, eine alleinstehende Frau, die ein paar schöne Tage genießen
wollte. Der einzige Zeuge ist wenig ergiebig, es gibt auch erst mal keinen
Hinweis, dass er oder jemand anderes das eigentliche Opfer hätte sein sollen.
Kommissar Dalga hat bislang kein Motiv, nicht den Schimmer eines Täterverdachts,
und er hat mächtig Druck von oben, diese Geschichte so schnell wie möglich
aufzuklären und auch noch diskret vorzugehen.«
Latife
fasste sich an den Hals und sah ihren Mann an, der erneut mit den Achseln
zuckte und dann sorgfältig das Gemüse mit dem Reis vermengte.
»Wo
kommt dieser Draht her? Weiß man das?« Yusuf beugte sich interessiert vor.
Kadir
zögerte einen Moment, doch dann spürte er Latifes Fuß gegen seinem Knie und er
fuhr fort: »Ja, er scheint aus dem Gartenhaus des Hotels direkt neben dem Pool
entwendet worden zu sein. Da in dem Haus gleichzeitig drei Toilettenkabinen für
die Gäste sind, war es meist unverschlossen und die Tür zu dem rückwärtig
gelegenen Raum, in dem die Gartensachen liegen, war nur mit einem Riegel
verschlossen, den jeder aufschieben kann. Das ist an sich nicht ungewöhnlich,
denn wieso sollte sich einer der Gäste für das Zeug interessieren oder dort
etwas mitgehen lassen wollen?«
»Ein
ganz gewöhnlicher Draht? Wie soll ein solcher Draht einen Kopf abtrennen, das
scheint mir fast unmöglich!«, warf Nevin ein und hob die Serviette an ihre
Lippen. »Ich habe schon erlebt, dass ein harmloser, aber unglücklicher Sturz
die Halswirbelsäule aufbricht wie einen morschen Ast, während ein starker
Schlag mit einem enormen Gewicht nur etwas Nackenschmerzen verursacht, insofern
scheint alles möglich. Aber ein Draht?«
»Nun,
es ist kein gewöhnlicher Draht, die Gärtner benutzen ihn, um Äste abzubinden
oder abzusägen, das scheint schneller und handlicher zu funktionieren als mit
einer gewöhnlichen Säge. Er ist sehr scharf und kann nur mit festen Arbeitshandschuhen
benutzt werden. Die Deutsche ist darauf zugerast und zack – weg war der
Kopf!«
Bülbül
erwähnte nicht, dass es Seda Güven und Herbert Schmalfuß gewesen waren, die ihm
den Hinweis auf die Herkunft der Tatwaffe gegeben hatten, lange bevor die Bestätigung
aus Antalya kam. Um die Oberhand zurückzugewinnen, hatte Dalga nach dem Verhör
von Matuschke beschlossen, dass er das
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