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Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall

Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall

Titel: Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu , Asmin Deniz
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ausgeguckt hatte. Jeder der Sicherheitsleute wusste, dass der
alte Mann mit der fleckigen Schiebermütze auf dem Kopf und der Kamera vor dem
spitzen Bauch Kadirs Onkel war, niemals wäre er in seinem Lauf und seinem Bestreben
gehindert worden. Und so zündeten sich die Wachleute eine Zigarette an, taten
so als hörten sie nicht, dass man aufgeregt nach ihnen rief, und drehten sich
um, wenn Yusuf achtlos durch Sandburgen trabte, seine großkarierte, weit
ausgestellte Hose an Klappstühlchen hängen blieb, die er meterweit
selbstvergessen hinter sich herschleifte, oder wenn er Touristinnen am
Bikiniverschluss zupfte, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie auf einem
wertvollen, eben jetzt zu fotografierenden Sandobjekt lagen.
    » Hadi
masaya, masaya ! Zu Tisch, zu Tisch!«
    Erleichtert
legte Kadir den Fotostapel auf den Wohnzimmertisch und half seinem Onkel auf,
der vom jahrelangen Stehen in der Fertigungshalle, wie er sagte, sofort in
allen Gelenken einrostete wie ein uraltes Ford T-Modell, wenn er ein paar Minuten
ruhig saß.
    »Ah, yenge, du hast dich mal wieder selbst übertroffen!«
    Yusuf
ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen, stopfte sich die Serviette in den
Hemdausschnitt und bog den Kopf tief über den Teller, so, dachte Kadir, als
wenn er gleich ein geliebtes Stück Rinde oder Sand fotografieren wollte.
    Sanft
und zärtlich glitten Yusufs Augen über den formvollendeten kleinen Reishaufen,
das scharfe Gemüse, von dem er behauptete, dass nur seine Schwägerin Latife es
so brillant klein schneiden und solch wunderschöne Würfelchen zaubern konnte,
dass das Herz eines Künstlers sich erwärmen konnte und wild hüpfte in der alten
Witwerbrust!
    »Oh
Latife, tas kebabi ! Ich gebe alles für dein kebab , alles,
mein Herz, meine Seele, sogar meine Kölner Rindenfotosammlung, und glaube mir,
dies würde ich für keine andere Frau tun.«
    Latife
hielt ein kühles Glas ayran an ihre glühende Wange, winkte verschämt ab
und schlug bescheiden die Augen nieder. Wie immer in solchen Momenten, in denen
ihr Schwager sie in den Himmel lobte, ihre Eigenschaften als Mutter pries oder
ihre Kochkünste anhimmelte, schwor sie sich, die nächste Fotorunde mit Geduld
und demütiger Schwägerinnenliebe zu überstehen, doch bislang war es bei diesem
Schwur geblieben, und sobald sie das erste Foto in die Hand nahm, überschwemmte
sie eine bleierne Müdigkeit, gepaart mit grenzenloser Ungeduld, die ihre
Fingerspitzen so zum kribbeln brachte, als hätte sie ihre Hände in einen
Brennnessel-Busch getaucht.
    »Ach,
meine Frau, Friede ihrer Seele, was hätte sie dafür gegeben, wenn ich ihr
einmal ein solches Kompliment gemacht hätte, aber, obwohl wir nicht schlecht
von den Toten reden sollen, sie war nun einmal eine erbärmliche Köchin, Friede
ihrer Asche, eine grauenvolle Köchin, Latife, genau wie deine älteste Tochter,
der es, so will ich hoffen, gut geht?«
    Nevin
schritt um den Tisch und verteilte die Salatteller, und als sie sich neben
Kadir herab beugte, roch er ihr Parfum, ihre Haut, unabsichtlich streifte ihr
Arm seine Schulter, und Kadir hoffte, wenngleich er wusste umsonst, dass seine
Mutter ihn nicht in eben diesem Moment beobachtete und in seinem Gesicht las, was
sie zu lesen wünschte.
    »Nun
erzähle mal, mein Sohn.«, begann Nazmi Bülbül und spießte ein Stück Fleisch auf
seine Gabel. »Was ist geschehen? Wer ist diese Frau? Warum hat sie sich den
Kopf abtrennen lassen? Wie kann es sein, dass jemand auf einer Rutsche ins
Wasser sausen will und dabei den Kopf verliert? Warum ist der Fall, wie du
sagst, so kompliziert?«
    Kadir
blickte seinen Vater, der ihm freundlich und arglos zulächelte, an. Seine Art,
selbst die unerhörtesten Dinge mit Gleichmut hinzunehmen und zu schildern,
erstaunte Kadir immer wieder. War es nicht für jedermann ersichtlich, dass so
eine kopflose Leiche an sich schon eine vertrackte, komplizierte Angelegenheit
war, ganz gleichgültig, wie sich die näheren Umstände gestalteten?
    »Nun,
ich darf natürlich nicht alles preisgeben, das versteht Ihr sicher, ich ...«
    »Unsinn,
was redest du da für einen Blödsinn, bebegim! « Latife ließ ihre Gabel
auf den Teller zurücksinken und sah ihren Sohn stirnrunzelnd an, spürte jedoch
gleichzeitig, wie sich seine Pantoffelspitze in ihre Zehen bohrte, und sie
schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Oh, Himmel, da hatte sie ihn aus
Versehen vor den Gästen wieder Baby genannt, und wie streng hatten Kadir
und sein Vater ihr das verboten!

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