Halskette und Kalebasse
natürlich nichts gefunden. Und ich kann doch nicht jeden hohlen Baum und jeden Winkel dieses verfluchten Kiefernwaldes absuchen, oder? Also habe ich die Halskette abgeschrieben, und das ist die ganze Geschichte.«
Richter Di seufzte tief.
»Es ist eine hübsche Geschichte, Lang. Genauso hübsch wie die, die Tai Min Ihren Männern erzählt hat. Der einzige Unterschied ist, daß er seine Geschichte nicht beweisen konnte, wohingegen Sie das können. Einfach, indem Sie mich Ihrem guten Freund, Herrn Hao, vorstellen.«
Lang wand sich unbehaglich auf seinem Stuhl.
»Hao sollte gestern morgen hier aufkreuzen. Mit den zehn Goldbarren. Aber er ist nicht gekommen. Und ich weiß nicht, wo ich ihn finden kann.«
Es entstand ein langes Schweigen. Dann schob Richter Di seinen Stuhl zurück und erhob sich.
»Es tut mir sehr leid, Lang, aber mit dieser Geschichte kann ich nicht nach Hause zurückkehren. Ich sage nicht, daß Sie ein Lügner sind, wohlgemerkt; ich sage nur, daß ich einen Beweis haben muß. Ich werde noch ein Weilchen hier bleiben, um die Situation zu beobachten, sozusagen. Selbstverständlich treiben sich hier auch ein paar Freunde von mir herum, wiederholen sie also nicht Ihren Fehler von gestern nacht! Sollte Ihnen nach einer weiteren freundlichen Plauderei zumute sein, so wissen Sie ja, wo mein Zimmer ist. Auf Wiedersehen!«
Der rundköpfige Buchhalter geleitete ihn ehrerbietig zur Tür.
Elftes Kapitel
Oben in seinem Zimmer ließ Richter Di sich schwer in den Lehnstuhl am Fenster sinken. Der Mord an Tai Min war nun aufgeklärt. Er würde dafür sorgen, daß Lang Liu und die Männer, die den unglücklichen Kassierer gefoltert und getötet hatten, ihren wohlverdienten Lohn empfingen. Aber zuvor würde er die wirklichen Verbrecher, die den Diebstahl der Halskette geplant hatten, entlarven müssen. Denn seine Vermutung hatte sich jetzt als richtig erwiesen: Der Diebstahl war der wichtigste Teil irgendeiner komplizierten Hofintrige, und der Kontaktmann des rätselhaften Herrn Hao mußte innerhalb des Palastes zu suchen sein. Daß es einen Herrn Hao gab, war nur zu wahrscheinlich, denn wenn verdorbene Höflinge für ihre schmutzige Arbeit Berufsverbrecher von draußen anheuerten, bedienten sie sich immer eines Mittelsmannes. Könnte er doch nur diesen Herrn Hao aufspüren! Verhaftet und einem Verhör unterworfen, würde Hao schon sagen, wer seine Kontaktperson war. Aber an irgendeiner Stelle war irgend etwas schiefgegangen. Hao hatte keine Verbindung zu Lang aufgenommen, und der Richter hatte das unbehagliche Gefühl, daß Hao für immer von der Bildfläche verschwunden war.
Aus dem Zimmer unter ihm ertönte wieder der sanfte Klang einer Mondgitarre. Dieses Mal eine schnelle Melodie, gekonnt gespielt; fremd, aber durchaus anziehend. Sie endete abrupt mit einem Akkord, dann lachte eine Frau. Es gab keine Kurtisanen in der Stadt, doch anscheinend hatten einige Gäste sich ihre eigenen Freundinnen mitgebracht. Richter Di zupfte nachdenklich an seinem Schnurrbart.
Was könnte Tai Min mit der Halskette gemacht haben? Sie von dem Seitentisch zu nehmen, auf den die Prinzessin sie gelegt hatte, mußte ganz einfach gewesen sein. Der Kassierer brauchte dazu wahrscheinlich noch nicht einmal den Pavillon zu betreten. Könnte einer der Verschwörer hinter den Gitterstäben des Wassertores unter dem Stützpfeiler auf Tai Min gewartet haben?
Die Wassertore hatten niedrige Bögen, nicht höher als drei oder vier Fuß, wie der Richter vom Fluß aus selbst gesehen hatte, aber vermutlich war der unterirdische Kanal mit einem kleinen, flachen Boot durchaus befahrbar. Der Mann könnte demnach die Halskette genommen und Tai Min eine Belohnung durch das Eisengitter gereicht haben; vielleicht einen Goldbarren, anstatt der Lang versprochenen zehn. Die Verschwörer im Palast waren Experten in Sachen Intrige, und es war nicht ausgeschlossen, daß sie Lang einen solchen Streich spielten. Die gleiche Transaktion hätte auch im Kiefernwald stattfinden können - zwischen Tai Min und Hao. In beiden Fällen könnte Tai Min den Goldbarren versteckt haben, vielleicht in einem hohlen Baum, mit der Absicht, ihn zu einem späteren Zeitpunkt abzuholen, nachdem er und Frau Wei ihre gemeinsame Zukunft besprochen hatten. Der Richter seufzte tief. Es gab zu viele Möglichkeiten, zu viele unbekannte Faktoren.
Eines war sicher: Mit dem Mordanschlag auf ihn und Meister Kalebasse hatte Lang Liu nichts zu tun. Die Killer hatten sie nur deshalb
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